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Letzte Ernte. Ein kulinarischer Krimi

Letzte Ernte. Ein kulinarischer Krimi

Titel: Letzte Ernte. Ein kulinarischer Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Hillenbrand
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Und alle betrachten, was da an der Böschung liegt. Der Junge geht näher heran, niemand hält ihn auf, durch die sich lichtende Menschenmenge kann er den Toten sehen. Er liegt halb im Wasser, eigenartig verrenkt. Und dann packt ihn die Angst, er will den Blick abwenden, aber er kann nicht. Seltsamerweise geht ihm durch den Kopf, dass der Leichnam in der Tat ein wenig aussieht wie ein Apfelküchlein. Nach einiger Zeit, wie lange weiß er nicht, gelingt es dem Jungen, seinen Blick abzuwenden. Er taumelt ein bisschen, läuft ein paar Schritte nach links, rempelt jemanden an.
    »Pass op, Jong! Net dreemen!«
    Nun teilt sich die Menge, es kommt ein uniformierter Mann mit einer Decke, gleich wird alles vorbei sein. Und dann ist der Junge plötzlich auf seinem Fahrrad, in Clausen, in Grund. Die anderen stehen alle an der steinernen Ulrichsbrücke, wie immer vor dem Mittagessen. Sie wollen wissen, was Xavier gesehen hat. Er sagt nichts, er kann nicht sprechen, aber sie lassen nicht locker. Der dicke Nicholas versperrt ihm den Weg und sagt, er dürfe erst durch, wenn er alles ausgespuckt habe. Und irgendwann stammelt er, nichts sei zu sehen, die Polizei sei bereits da gewesen. Er lässt sein Fahrrad fallen und er rennt, rennt nach Hause.

30
    Sie liefen die schmale Straße neben der Alzette entlang, bis zu jener Stelle. Valérie legte einen Arm um ihn. »War es hier?«
    »Dort vorne«, sagte er leise und zeigte auf die Uferböschung. Dann löste er sich von ihr. Kieffer nahm den Blumenstrauß, den er mitgebracht hatte, kniete sich nieder und legte ihn auf das Laub. Zuvor hatte er bereits ein Bouquet etwas weiter oben deponiert. Der erste Strauß war für Kats gewesen, den er kaum gekannt hatte. Der zweite war dem Mann gewidmet, der damals, vor über dreißig Jahren von der Rouder Bréck gesprungen war.
    »Weißt du, wer er war?«, fragte Valérie.
    »Nein. Nur, dass er Handwerker war. Ich habe im Archiv des ›Luxemburger Wort‹ nachgeschaut, um das herauszufinden. Aber der Eintrag zu seinem Selbstmord war nur drei Zeilen lang. Sein Tod hat wohl niemanden interessiert.«
    Sie nahm seine Hand, gemeinsam liefen sie zurück zu Kieffers Auto. »Es ist seltsam, hier zu sein«, sagte er.
    »Wieso?«
    »Weil mir erst vor Kurzem bewusst geworden ist, dass ich seit diesem Tag damals nie wieder hier war. Ich war natürlich mal in Pfaffenthal, und ich bin Hunderte Male darüber hinweggefahren. Aber diese spezielle Stelle habe ich instinktiv gemieden, ohne dass mir das bewusst gewesen wäre.«
    »Und, wirst du jetzt öfter hierherkommen?« Sie blickte zur gegenüberliegenden Alzette-Seite, wo das mittelalterliche Siechentor mit seinem spitzen Dächlein stand. »Ich find’s eigentlich ganz hübsch hier.«
    »Stimmt. Aber mir reicht es jetzt erst mal mit der Traumabewältigung.«
    »Apropos Traumata. Was ist mit dem Barotrauma? Was hat der Arzt heute Morgen gesagt?«
    Zweimal binnen kürzester Zeit war Kieffers Körper einem Vakuum ausgesetzt gewesen, wenn auch nur für Sekunden. Die damit einhergehenden plötzlichen Druckveränderungen nannte man Barotrauma, sie konnten Lungenbläschen und Gefäße zerstören. Deswegen hatte ihm die Episode in Kats’ geheimem Serverraum einen mehrtägigen Aufenthalt im Centre Hospitalier sowie eine beeindruckend lange Reihe medizinischer Tests und Nachuntersuchungen eingebracht. Dass sie ihn zumindest einen Teil seines Blutes hatten behalten lassen, erschien Kieffer wie ein Wunder.
    »Ich habe offenbar großes Glück gehabt, Val. Beim zweiten Mal habe ich instinktiv das Richtige getan, nämlich ausgeatmet. Dadurch hat mein Körper ein paar Sekunden gewonnen. Der Doktor sagt, es gebe keinerlei bleibende Schäden. Allerdings sei mein Allgemeinzustand verbesserungwürdig.«
    »Sollst du vielleicht aufhören, zu rauchen?«
    »Gott sei Dank nicht. Seine Worte waren: ›Ich bin selbst Nichtraucher und würde Ihnen das Gequalme nur allzu gern verbieten. Aber leider sind Ihre Lungenwerte völlig in Ordnung, weswegen ich dazu keine besondere medizinische Veranlassung habe.‹ Meine Leberwerte hingegen bezeichnete er als besorgniserregend.«
    »Was hast du denn?«
    »Eine Fettleber. Zu wenig Sport und zuviel Riesling, behauptet der Arzt. Pekka hat allerdings bereits angemerkt, dass einem Koch so eine foie gras ja eigentlich ganz gut zu Gesicht stehe.«
    Valérie schien das nicht so lustig zu finden wie er. »Dein versoffener Kumpel ist niemand, den man bei so etwas um Rat fragen sollte.« Sie hakte sich bei ihm

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