Letzte Fischer
nur, dass es ein Gedichtschreiber war. Ein Franzmann .«
»Ja, aber was für einer! Der hat die Moderne erfunden, hat unsere Lehrerin auf der Berufsschule gesagt. Der hat das weltbekannte Gedicht ›Das trunkene Schiff‹ aufgeschrieben. Das ist fast zehn Seiten lang und zieht dich so was von in den Bann! Da bist du vom Lesen besoffen, weil du denkst, du stehst auf einem besoffenen Kahn. Aber das Schärfste ist, dass er seine Sachen im Alter zwischen fünfzehn und neunzehn geschrieben hat, dann hat er aufgehört, ging nach Afrika, hat da mit Waffen gehandelt, wurde schwerreich, und als er sein ganzes Gold nach Hause schleppte, wurde er krank und krepierte mit siebenunddreißig Jahren. Kein Märchen! Sein Gold hat ihn umgebracht. Durch das Gewicht bekam er Geschwüre in den Knien, an denen er starb. Damals gab es in Afrika ja keine Banken, und so musste er alles Gold, was er verdiente, immer mit sich herumtragen. Kein Märchen. – So, hier sind wir!«
Luise sah Tommy ungläubig an. Sie standen vor dem Schott zur Brücke, und der Bootsjunge strich sich schnell noch mal über die Haare, ehe er das Schott aufriss und laut in den Raum rief: »Auf die Brücke! Doppelbläser und Sicherheitsexpertin Rösch.«
Der Steuernde, der allein auf der Brücke war, drehte sich halb zu ihnen um und nickte mürrisch. Dann sah er wieder nach vorn. Am Bug standen zwei Kollegen, die ihn per Handzeichen vor Felsen und Eisschollen warnten, während sie nach Walfontänen aller Art Ausschau hielten.
»Komm mit!«, flüsterte Tommy und ging am Kartentisch vorbei zur Nische, durch die es zum Funkraum ging. In dieser Nische, in der Luise noch nie gewesen war, stand eine gepolsterte Bank, und an der Wand hing ein Chronometer. Neben dem Gerät, gegenüber der Bank, auf die sie sich fallen ließen, hing ein Bilderrahmen. Hinter dem Glas stand in Schönschrift ein Gedicht! Luise sah Tommy ungläubig an. Ein langes Gedicht! Aus der Entfernung konnte sie es nicht lesen: »Lass mich raten. ›Das trunkene Schiff‹!«
»Quatsch! Das ist zu lang! Das hier ist noch viel besser. Es heißt: ›O es ist, ach, der Durst‹!«
»Verstehe!«
Tommy nickte, und ohne auf die Buchstaben zu sehen, flüsterte er: »›Erstens. Die Vorfahren
Wir sind deine Vorfahren
Die wahren!
Bedeckt von Schweiß
Von Mond und Gras
Unsere Weine haben Herz!
In der Sonne, ohne Spaß
Was muss er? Trinken.
ICH. – Sterben an grausamen Ufern.
Wir sind deine Vorfahren
Von den Feldern.
Das Wasser ist am Weidengrund:
Sieh den Strom im Graben
Fließen um den Mauerfuß
Komm, unsere Keller warten;
Dann der Most und die Milch.
ICH. – Zur Tränke, wo die Kühe sind.
Wir sind deine Vorfahren
Schau und nimm
Likör aus unseren Schränken
Der Tee, Kaffee, so selten
Brodelt es in den Kannen.
Sieh die Bilder, Blumen
Wir kommen dich besuchen.
ICH. – Schnell, alle Urnen schließen!
Zweitens. Der Geist
Ewige Wasserfee teilt die zarten Wellen
Nahe, Schwester des Himmels, lass den Strom flimmern.
Juden, irrende, Norwegens, nennt mir den Schnee
Ihr alten, lieben Verfehmten, nennt mir das Meer.
ICH. – Nicht länger diese edlen Getränke, Wasserblumen
Symbole noch Legenden, können mich beruhigen:
Lieder, euch ist anvertraut mein rasender Durst
Ein Begehren ohne Maul, das aushöhlt und versehrt.
Drittens. Die Freunde
Komm, es fließen zu den Stränden
Die Weine, Wellen in Millionen
Sieh die wilden Brände
Die Berge herunterrollen!
Gewinnen wir, weise Pilger
Absinth aus grünen Säulen . . .
ICH. – Nicht länger diese Bilder.
Was ist der Rausch denn, Freunde?
Mir ist so lieb und lieber
Zu verrotten im Teich
Unter den ekligen Schlieren
Wo Holz auf dem Wasser treibt.
Viertens. Der arme Traum
Vielleicht erwartet mich ein Abend
An dem ich still und trinken werde
In einer Stadt, in einer irgendwelchen
Und sterben werde, fast zufrieden:
Denn ich bin geduldig!
Wenn mein Elend mich verlässt
Wenn etwas Geld ich jemals habe
Werde ich den Norden wählen
Oder das Land, wo es Reben gibt?
Doch Träumen ist ohne Würde.
Denn es ist reiner Verlust!
Und wenn ich wieder werde
Jener Reisende noch einmal werde
Kann niemals mir offen und gut
Die grüne Herberge sein.
Fünftens. Schluss
Die Tauben, die wippen, in der Wiese
Das Wild, das läuft, sieht in der Nacht
Die Wassertiere, das Tier, das besiegte
Die letzten Schmetterlinge . . . haben auch Durst.
Doch zerfließen, wohin diese Wolke fließt
Ohne Richtung, begünstigt vom Wind!
Sterben in
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