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Letzte Fischer

Titel: Letzte Fischer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Harry Altwasser
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kam nach ihr herein, und ein wenig enttäuscht ließ Luise das Schott hinter ihm in den Rahmen fallen.
    »Setz dich!«, sagte Thomas: »Ich bringe dir einen mit!«
    »Mit Zucker.«
    Thomas nickte, und Luise suchte sich eine leere Back, was kurz vor dem Mittagessen gar nicht so einfach war. Die Walfänger hatten ihre Arbeitskleidung angezogen und warteten gleich auf zwei Rufe, wobei ihnen beide recht seien, wusste Luise: ›Da bläst er!‹ oder: ›Backen und Banken!‹
    Thomas stellte ihr den Pott auf die Back, den sie sofort festhielt, während er die Bretter an den Tischkanten hochklappte und an den Ecken die Haken in die Ösen steckte.
    »Gibt wohl gleich was zu futtern, wie die hier alle lauern«, sagte Thomas.
    »Damit rechne ich auch. – Um noch einmal auf deine nette Idee zurückzukommen: Wenn einem von niemandem verziehen werden muss, dann braucht man auch seinen Sündigern nicht zu verzeihen und kann sie mit der eigenen guten Lebensart herrlich in die Hölle schicken. Mit einem Fußtritt! – Ist auch eine Antwort!«
    Sie legte den kleinen Löffel auf die Backfläche, der aber ständig hin und her rutschte und an die hoch stehenden Tischkanten knallte. Resolut schlug sie mit der Faust auf ihn, als er gerade vorbeischnellte, und behielt ihn in der Hand.
    Thomas nickte, sah sie lange an und sagte schließlich: »Ja, sicher, so geht das auch, aber zu vergeben, das kostet weniger Kraft, meine Liebe, als jedem Sündenpfuhl auszuweichen!«
    »Drauf geschissen!«
    »Genervt?«
    Sie nickte: »Das ewige Ausbalancieren! Ständig muss der Körper gegen die Seebewegungen ankämpfen, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Jedes Mal muss man sich neu daran gewöhnen. Ich hätte ja nie gedacht, dass das auf Dauer so anstrengend ist. Dabei tun wir ja gar nichts! Wir tun nichts und sind trotzdem hundemüde! Und die Kerle da, die malochen noch wie die Galeerensklaven! – Da lob ich mir doch die ruhige See vor Somalia! – Langsam geht mir hier alles auf die Nerven!«
    »Ich weiß, was du meinst.«
    Sie tranken schweigend vom Tee. Um sie herum das unterdrückte Gemurmel vieler Stimmen, das auf Luise einschläfernd wirkte. Ihr Kopf sank und sank, ehe Thomas sie aus dem Sekundenschlaf riss. Er nuschelte, er gehe mal auf den Gang, um eine zu ficken, ehe er aufschrie: »Quatsch, rauchen, um eine zu rauchen, mein ich.«
    Luise schreckte auf und war im Nu wieder munter. »In Ordnung«, sagte sie, gähnte und streckte sich im Sitzen, während die leere Teetasse an Fahrt aufnahm, doch noch bevor sie an die Kante der Stirnseite schlug, hatte Luise sie abgefangen und stellte sie krachend in die Mitte der Back.
    Wieder streckte Luise sich und wieder sah sie der Tasse zu, die langsam in Bewegung kam, um dann davon zu stürzen. Doch wieder gewann Luise im letzten Moment, und irgendwie hätte sie das Spiel endlos fortführen können. Doch es gab ja keine Punkte! Und niemand achtete auf sie! Ein Spiel ohne Punkte und Zuschauer, das war doch nur Kinderei! Tommy fehlte, der ihre Reaktionsgeschwindigkeit hätte bewundern können. Wo steckte der Bengel bloß? Alles in allem also ziemlich nutzlos das Ganze! Sie stellte den Löffel in die Tasse und behielt sie in der Hand. Luise sah, wie der Smutje den Kopf durch die Luke steckte und einen Blick in die Runde warf. Er nickte zufrieden und verschwand wieder nach hinten.
    Luise beobachtete die Männer an den anderen Backs, die sich wie auf ein Zeichen hin schwerfällig erhoben und langsam zur Ausgabe gingen. Niemand redete mehr und alle sahen auf die Essensausgabe. Die ersten Kerle nahmen sich die Tabletts und versuchten, in die Kombüse zu sehen. Luise grinste. Wie oft sie das in den letzten drei Wochen nicht schon beobachtet hatte! Aber warum sah sie ihnen eigentlich so gebannt zu? Sie wusste es noch immer nicht. Warum nur? Sie konnte ihre Blicke nicht von diesen fetten, stinkenden und hässlichen Männern losreißen, aus deren Mitte Tommy sich wie ein Engel erhebe.
    Da war er, stand im Schott und lächelte sie an. Im gleichen Augenblick schallte es über die Lautsprecher durchs Schiff: ›Backen und Banken!‹
    Das Rollo der Essensausgabe wurde ganz hochgezogen, und sofort setzte das Gemurmel wieder ein. In einer langen Reihe standen die Walfänger an der Wand und gaben sich wie Waschweiber den heutigen Menüplan weiter. Ausgiebig wurden dabei die einzelnen Gänge diskutiert, und kaum zwei Männer fanden sich, die mit den gleichen Geschmacksnerven geboren worden waren. Endlich hatten sie ein

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