Letzte Fischer
neues Thema! Diese Spitzenköche! Es seien durch die Bank stinkende Gourmets, meinte Luise und erhob sich, um Tommy zu begrüßen, der sich zu ihr ans Ende der Schlange stellte.
Sich zu küssen, untersagten sie sich. Sie sahen sich in die Augen, und Luise fragte, wo er denn gesteckt habe.
»Du bist nicht meine Mutter!«, kam es sofort aus ihm heraus, da bereute er es schon: »Ich meine, ich war mit Kloschrubben an der Reihe. – Keine Sorge, Mama, ich habe mir die Hände gewaschen.«
Sie gab ihm einen Klaps, und er lachte.
Hinter ihnen stellte sich Thomas in die Reihe und sagte: »Na, ihr Turteltäubchen , jetzt gibt’s ja endlich Mittag, und dann könnt ihr ja für eine halbe Stunde ins Krankenzimmer.«
Er lachte, Luise aber wusste nicht, wie sie als Vorgesetzte reagieren solle. Tommy grinste verlegen und drehte sich nach vorne.
Die Männer vor ihnen bekamen nach und nach die Tabletts voll gestellt, und als sie an der Reihe waren, wurde auch ihnen eine Suppe als Vorspeise, Kasseler mit Sauerkraut als Zwischenspeise, Eisbein mit Erbsenpüree als Hauptspeise und Bananenpudding als Nachspeise gereicht. Dazu gab es für jeden einen Liter Cola. Sie schleppten das Essen zur Back und sahen es sich voller Vorfreude an.
»Das ist der Vorteil am Seemannsleben!«, sagte Thomas: »Seeluft und Seegang halten einen stets hungrig. – Einen Guten !«
Luise, die jetzt gern mit Tommy allein gewesen wäre, nickte und aß schweigend, während sie wieder die mampfenden und schmatzenden Männer beobachtete, die sie in ihrer Natürlichkeit so sehr an den eigenen Vater erinnerten. Oder an die Vorstellung eines eigenen Vaters.
Denn sie kannte ihn ja nicht, doch das war nicht tragisch. Tragisch war, dass sie sich zu fünfzig Prozent immer unbekannt bleiben würde. Sie hatte sich ihr Wissen über ihn ja zusammengetragen, mühsam und über viele Umwege. Mathilde hatte ihr kaum etwas über ihn gesagt, und Robert wusste fast nichts. Das wenige hatte er ihr erzählt. Er sei klein, dick und habe gern Schnaps getrunken. Der Schnaps habe ihm eine zweite Persönlichkeit verschafft, und Luise fragte sich, ob das bei den Männern hier auch so sei. Würden sie an Bord trinken, würden sie sich dann auch anders verhalten? Vielleicht wie auf dem Fliegenden Holländer ? Am Tage halbwegs normale Menschen, aber in der Nacht grauenvolle Ungeheuer? War das die eigentliche Botschaft dieses Seemannsmärchens, das darum überall auf der Welt so gut verstanden wurde? Halte dich vom Schnaps fern! Gehe keine Verbindung mit ihm ein, wenn du kein Monster werden willst! Luise grübelte. Schließlich waren Holländer ja für ihr Leben mit verschiedensten Suchten bekannt. Weltoffenheit durch geistige Vernebelung. Luise grinste und verlor den Happen Pudding beinahe wieder.
»Was gibt’s zu lachen?«, fragte Tommy, der Thomas hinterher sah, der sein Geschirr zum Abwaschbecken brachte und die Messe verließ. Er hatte schon eine Zigarette zwischen den Lippen und suchte das Feuerzeug.
»Ich musste an den Fliegenden Holländer denken, der nur alle sieben Jahre mal an Land darf und vom Fluch nur gerettet werden kann, wenn er eine Frau findet, die ihn ›reinen Herzens‹ liebt. Dafür hat er aber alle sieben Jahre nur einen einzigen Tag Zeit«, sagte sie: »Keine Hure, sondern eine Heilige.«
»Würde mir reichen«, sagte Tommy, ohne vom Essen aufzusehen: »Hab auch eh keine Reichtümer.«
»Ja, dir! Aber der Holländer muss ein verdammt hässlicher Kerl sein«, sagte Luise: »Wie die hier alle. – Und ein Säufer.«
»Ein Säufer?«
»Ja, die Kerle hier sind doch allesamt Säufer, oder nicht? Sind oder waren oder werden.«
»Alkohol ist nichts Schlechtes«, sagte Tommy: »Er befreit vom Scheiß, der einen umgibt. – Und du siehst ja, hier an Bord ist jede Menge Scheiße! – Sag mal, weißt du nicht, warum der Walfänger Rimbaud so heißt, wie er heißt?«
Luise schüttelte den Kopf. Sie stellte die Teller zusammen auf ihr Tablett, schob Tommys unter ihres und stand auf. Langsam brachte sie den Turm Plastik weg und ging zum Schott, wo Tommy auf sie wartete. »Na, dann komm mal mit«, sagte er.
»Wieso?«
»Warte mal ab. Ich zeig dir, wie dumm diese Männer hier wirklich sind! Da könnte dein versoffener Vater bestimmt nicht mithalten.«
»Da bin ich aber gespannt!«
»Du weißt also nicht, warum unser Schiff Rimbaud heißt?«
»Woher auch.«
»Du hast nicht mal eine Ahnung, wer Rimbaud gewesen sein könnte? Arthur Nicolas Rimbaud?«
»Ich weiß
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