Letzte Fischer
nicht zum Reden anhalte, meinte Luise, dann werde aus ihnen nie Teil eines Ganzen. Aber habe Robert sie da nicht vom Gegenteil überzeugen können? Sei er nicht Teil einer Familie geworden? Trotz allem? Habe er Mathilde und Luise nicht genauso gebraucht wie sie ihn? Tja, aber was für ein Teil? Ein Teil, der die eine Jahreshälfte in der Fremde verbrachte, um die anderen Monate im Heim aushalten zu können. Robert und Mathilde, was für ein Gespann!
Sicherlich – Luise ließ die Kippe fallen und drückte sie mit dem Hacken aus – seien auch Mathildes Erlebnisse traumatisch gewesen, aber habe ihre Mutter sich nicht schnell von ihnen befreien können? Immerhin sei sie schon erwachsen gewesen und habe sich wehren können.
Und Mathilde habe sich gewehrt. Sie habe sich nicht endlos lange schlagen, demütigen und vergewaltigen lassen, wusste Luise, die trotz der stoischen Verneinungen der Mutter weiter glaubte, das Produkt einer dieser Vergewaltigungen zu sein.
Luise ging in die Halle zurück und sah den Dreiertrupp schon auf sich zukommen. Sie hob erleichtert die Hand, und nach einer stummen Begrüßung gingen die vier Sicherheitsleute hinaus und nahmen sich ein Großraumtaxi.
Aufs Meer zu blicken, heiße immer, etwas zu erwarten. Von irgendeiner Ankunft werde dauernd getuschelt. Schiffe, Treibgut, Kadaver, Nymphen, Seeungeheuer oder Wale, das Meer bringe es an den Tag. Es sei das Element, das gar nicht zuhören könne.
Und wenn es zum Schwafeln nicht komme, weil der Frost es ihm zu schwer mache, dann staple es Eisschollen auf, um nur ja nicht zuhören zu müssen. Das Meer sei das Sprechende allein.
Das Weibliche habe von der See gelernt, während es auf die Rückkehr der Fischer gewartet habe.
Prügelnde Hände der Frauen wären die Lippen. Im Schwall würden Männer wie Inseln im schwafelnden Meer versinken.
»Genug«, sagte Luise im Großraumtaxi, sah zu ihrem Kameraden, der das Buch nickend zuklappte und sagte: »Genug ist genug. So sind sie, unsere Dichter.«
»Ich hoffe, du hast noch andere Bücher mit«, sagte sein Sitznachbar: »Sonst wird es öde werden. Im ›schwafelnden Meer‹.«
Luises drei Kameraden waren Tschechen, ausgebildete Gebirgsjäger. Sie unterstanden ihr, weil sie eine ausgebildete Kampfschwimmerin war. Die Männer waren ein wenig älter und absolut verlässlich. Sie hatte mit ihnen schon Dutzende Einsätze hinter sich gebracht.
Thomas, der Prager, der immer mit einem Arm voll Bücher ankam, über die sie dann in langweiligen Gefechtspausen hin und her diskutierten, hatte ihr das Leben gerettet. Er war ihr Stellvertreter geworden, zwangsläufig, wogegen die Zwillinge Oleg und Bolek sich nicht gewehrt hatten.
Luise drehte sich auf dem Beifahrersitz um und sah ihre Kameraden an: »Wie war Kanada?«
»Kalt«, sagte Thomas: »Kalt. Der Öltanker wäre fast im Eis eingefroren. Vor Alaska, aber die Amerikaner, die haben es echt zu viel.«
»Was?«, fragte Luise.
»Öl. Die haben einen Gummischlauch ums riesige Schiff gelegt, vierzig Zentimeter Sicherheitsabstand, und den haben sie dann mit Öl übergossen und angezündet.«
»Ist doch eine gute Idee«, sagte Luise.
»Mein Porsche wäre mit der Ladung drei Monate lang gefahren«, sagte Bolek, der blonde der Zwillinge.
»Stimmt«, sagte Oleg: »Oder auch vier Jahre, weil du eh nie zu Hause bist, um ihn endlich mal richtig einzufahren.«
Die drei Männer lachten auf; ein hämisches, ehrliches, aufbrausendes Gelächter junger Männer, das Luise immer beruhigte. Siegesgewissheit, Selbstbewusstsein, Eroberungswille strahle es aus. Und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Mit Männern, die vor der Schlacht zu solchem Gelächter fähig seien, ziehe Luise gern in jeden Kampfeinsatz. Es sei ein verbrüderndes Gelächter, meinte sie, das zeigen solle, man werde für den Anderen einstehen, egal, was komme und was ausbleibe. Eigentlich sei der Sieg ja schon auf ihrer Seite, solle dieses Gelächter beruhigen. Lachend und ulkend in die Schlacht zu ziehen, war Luise überzeugt, sei überlebenswichtig. Sie stimmte mit ein, obwohl ihre Stimme kaum zu hören war. Und auch, als sich ein Witz über Boleks Ehefrau anschloss, die den Porsche schon einmal in einen Graben gesetzt habe, lachte Luise mit. Sie drehte sich wieder nach vorne und fragte den Fahrer, wie lange die Fahrt noch dauern werde.
Der Nordmann hob die rechte Hand, zeigte drei Finger. Was aber sollte das heißen? Drei Minuten? Drei Stunden? Drei Tage? Luise wusste, im Norden war alles
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