Letzte Fischer
anderen Fluggäste sie an.
Sie schloss die Augen, zählte bis drei und entschuldigte sich dann mit einem Kopfnicken bei den schweigsamen Reisenden, was diese aber nur noch mehr irritierte.
Also wieder in die sterile Bar eines Flughafens! Also erneut viel zu dünnen Kaffee! Als hätte sie davon in den letzten Stunden nicht schon genug gehabt!
Luise schulterte den Seesack, ließ ihn an der Theke fallen und bestellte einen Kaffee mit Whisky; auch schon egal! Wenn schon, die Nerven müssen beruhigt werden, meinte sie.
Und während sie wartete, dachte sie an Mathilde und an das, was die Mutter gesagt hatte. Fischwirt, Robert solle Fischwirt werden. Sicher, sie hatte von diesem künstlichen Fischen auch schon gehört, aber dass die Technik schon so weit vorangeschritten war, so weit, dass sie sogar schon in Mecklenburg Einzug hielt!
Doch eines musste sie Mathilde ja lassen, sie war auf der Höhe der Zeit, immer wusste sie Bescheid und nicht nur oberflächlich. Schade, dass sie in früher Jugend so viel Pech mit dem Kerl von der Insel gehabt hatte. Wenn der nicht so ein Schwein gewesen wäre; Luise steckte sich eine Zigarette an. Was muss ihr leiblicher Vater nur für ein Dreckskerl gewesen sein! Ihre Mutter war mit achtzehn Jahren aus einem katholischen Dorf in Bayern zu ihm aufs Land an die Ostsee gezogen. Mit der Landwirtschaft kannte sie sich aus, das dürfte kein Problem für ihre Mutter gewesen sein. Aber dieser Kerl!
Viel wusste sie nicht von der Vergangenheit ihrer Mutter, sie hatte zwar recherchiert, sie hatte während ihrer Armeezeit die Kollegen vom Dänholm bei Stralsund beauftragt, nach diesem Kerl zu forschen, der ihr leiblicher Vater war, doch gefunden hatten die Kameraden ihn nicht. Oder hatten sie nur behauptet, ihn nicht gefunden zu haben? Hatten sie etwas gefunden, das sie ihr nicht mitteilen wollten? Luise war sich darüber nie sicher. Nun war sie dreiundzwanzig Jahre alt, und war es da nicht sowieso schon zu spät, sich noch groß um den Erzeuger zu kümmern? Wozu eigentlich? Am Ende würde sie ihm noch mit einem Handkantenschlag das Genick brechen. Nein, Luise schüttelte den Kopf und beschloss hier oben, im Flughafencafé der Hauptstadt von Spitzbergen, sich nicht mehr groß um die Vergangenheit zu kümmern. Die Gegenwart zählte für sie. Sollte doch die Mutter in der Zukunft und der Stiefvater in der Vergangenheit leben, für sie sollte nur noch die Gegenwart zählen!
Die eigene Vergangenheit war ja dank der Mutter gar nicht mal so schlecht verlaufen. Und natürlich auch dank Robert, diesem so nachsichtigen Stiefvater, der sie nicht selten auch überfordert hatte, weil er vergessen hatte, dass sie kein Junge war. Doch waren ihr das nicht die schönsten Momente der Kindheit gewesen? Die lebendigsten?
Als er mit ihr loszog, als er ihr die Welt zeigte, wie er sie verstand, als sie die Umgebung entdeckte und natürlich auch sich selbst, war das nicht herrlich gewesen?
Mathilde war oft zu Hause geblieben, hatte damals viel in verdunkelten Zimmern gesessen, doch Robert und Luise, sie beide, ja, sie waren eine Zeitlang ein richtig gutes Team gewesen.
Doch dann studierte Robert immer weniger und begann irgendwann damit, während der Semesterferien auf Fischtrawlern zu jobben. Und nach ein paar Jahren blieb er dann ganz auf See und wurde Hochseefischer. Ein halbes Jahr gehörte er der See, doch ein halbes Jahr gehörte er ihr und Mathilde, und so lernte auch Luise das Leben einer Seemannsbraut kennen, einer Frau also, die ihren Mann klaglos zu teilen hatte. Zu teilen mit der See, diesem gefräßigen Untier, das mehr nahm als es gab. Wer sollte es besser als sie selbst wissen? Sie war ja auch dem Meer versprochen und ihm bald darauf verfallen. Luise drehte sich zur Halle, doch noch immer war keiner ihrer Kameraden zu sehen. Der nächste Flieger kam aus Murmansk, in einer halben Stunde. Dann erst war das Flugzeug aus Kanada an der Reihe.
Sie blickte von der Tafel zu den wenigen Passagieren, die auf den Gittern aushielten, die zu Stühlen gebogen worden waren. Luise drehte sich wieder zur Theke um und bestellte noch eine Mischung Kaffee-Whisky. Der Jetlag lag ihr immer noch hinter der Stirn, doch das Herz begann schon wieder ganz ordentlich zu pochen. Das Herz sei wieder fit, und auch der Kopf werde es bald sein, wusste Luise.
Wie oft war sie schon geflogen! Zu unzähligen Frachtern und Tankern, die zu bewachen ihre Aufgabe geworden war. Früher hatte sie das Fliegen geliebt. Sie hatte Hubschrauber
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