Letzte Fischer
den gemeinsamen Rhythmus, der sie durch die kalte Nacht brachte. Sie sangen den Refrain bis zum Ende der Fahrt. Und auch als sie ausgestiegen waren, winkten sie dem Fahrer nach und sangen ein letztes Mal laut und schreiend wie Trunkene: »›Schießest du auf Väinämöinen, töte nicht den Sohn Kalevas! Schießest du auf Väinämöinen, tötest du den Sohn Kalevas, schwindet Freude von der Erde, schwindet der Gesang von hinnen. Besser ist die Freud auf Erden, schöner der Gesang hier oben, als in Unterweltgefilden, in des Totenreiches Räumen!‹ – Und alle!: ›Schießest du auf Väinämöinen, töte nicht den Sohn Kalevas! Schießest du auf Väinämöinen, tötest du den Sohn Kalevas!‹«
»Diesen Sohn Kalevas«, sagte Thomas erhaben, »werde ich niemals vergessen!«
Sie schulterten die Seesäcke und ging zur Pier, an der sich der Walfänger vom Morgengrau leicht abhob. Die Gangway war heruntergelassen worden und wurde von einem müden Fischer bewacht, der sie nickend begrüßte: »Na endlich, wir warten hier schon drei verfluchte Tage auf euch! Drei Tage!«
»Jetzt sind wir ja da!«, sagte Luise.
»Ja, jetzt! Drei Tage, in denen wir keine Heuer verdient haben! Uns bezahlt niemand fürs Rumliegen, euch vielleicht, uns nicht! Jetzt rauf mit euch!«
»Dann zeig uns lieber die Kojen und quatsch nicht blöde rum«, sagte Oleg, woraufhin der Walfänger ihn erstaunt ansah. Oleg habe den richtigen Ton getroffen, verstand Luise sofort und mischte sich nicht ein. Der alte Fischer machte sich brabbelnd auf, ihnen die Kabine zu zeigen.
Es war eine Viererkabine, die sich im Vorschiff befand. So viel wusste Luise schon von der christlichen Schifffahrt, dass die Vorschiffkabinen am wenigsten beliebt waren, weil jedes Schiff mit dem Bug am meisten schaukelte. Schon bei wenig Seegang konnte man hier vorne aus der Koje geschleudert werden. Ein erholsamer Schlaf war im Vorschiff also nur möglich, wenn der Walfänger vor Anker lag, doch dafür waren Schiffe ja nicht gemacht worden. Luise ließ den Fischer vorbei, der das Schott von außen schloss und dachte: ›Egal, die Fischer werden den Schlaf mehr brauchen als wir. Und wir sind sowieso dran gewöhnt, immer ein Auge offen zu halten.‹
Sie knobelten aus, wer wo schlief, und hauten sich wenig später aufs Ohr. Als erster schnarchte Thomas, die Zwillinge folgten fast zeitgleich, Luise jedoch brauchte eine Weile, in der sie sich von einer Seite auf die andere warf, ehe auch sie geräuschvoll schlief. Es war eine lange Reise gewesen, und oftmals war es doch auch so, dass das Nichtstun anstrengender als jede Arbeit war. Luise hatte das oft erlebt. Von der Fliegerei erschöpft, war sie an die vielen Brennpunkte der Welt gekommen und hatte erst einmal große Mühe gehabt, die Umgebung wahrzunehmen und sich in ihr zurechtzufinden. Warten mache bekloppt, hatte sie einmal gemeint, und so war sie auch heute erleichtert in die Koje gefallen und froh gewesen, nicht gleich in ein Gefecht verwickelt zu werden. Wie ihre Kameraden war sie im Tiefschlaf und bemerkte nichts von den Bewegungen des Walfängers Rimbaud , den sie in den nächsten Wochen bewachen sollte. Ihn und die ganze Besatzung, die wie der alte Fischer das Anheuern des Kommandos herbeigesehnt hatte. Was war ein Walfänger schon groß, wenn er keine Wale fangen konnte? Was war ein Schiff schon groß, das sich im Hafen befand? Nicht viel, wusste auch der alte Fischer, der die Gangway bewacht hatte.
Er war gleich nach dem Eintreffen des Sicherungskommandos zur Kapitänskajüte gegangen, hatte einmal geklopft und war sofort eingetreten. Der Kapitän hatte sich in seiner Koje halb aufgerichtet und unwirsch gefragt, was los sei.
»Alles, was nicht fest ist«, hatte der Fischer gesagt: »Endlich sind die Aufpasser da.«
»Endlich! Schiff klarmachen zum Auslaufen. Auslaufen in zehn Minuten, ich bin gleich auf der Brücke.«
»Aye, aye!«, hatte der alte Fischer gesagt. Er war direkt ins Deck der Aushilfsmatrosen gegangen, er hatte das Licht angeknipst und ein Kopfkissen abgefangen, es zurückgeworfen, ehe er mit fester Stimme gesagt hatte, das Schiff laufe in zehn Minuten aus. Alle Eingeteilten aufs Oberdeck.
Ein Fluchen der drei Männer war zu hören gewesen, sie hatten sich mühsam erhoben, waren auf dem Kojenrand sitzen geblieben, hatten einen Moment lang gewartet. Der Schwindel hatte aufgehört. Sie waren in ihre Seekleidung geschlüpft und aufs Oberdeck gekommen, wo die Beleuchtung schon eingeschaltet worden war.
Noch
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