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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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nicht? Arg schwer war diese Sprache, aber Französisch war ja auch nicht ohne. Mit Deutsch würde man vielleicht eher einen Job kriegen.
    Oder besser auf Russisch umsatteln? Lieber nicht. Da ging ja jetzt alles drunter und drüber.
     
    Man sprach über die Metamorphosen von Goethe, und Alexander sollte sich dazu äußern. Er ließ sich das Gedicht aufsagen, und dann sagte er: Wie sich eines aus dem andern entwickelt, so ungefähr müßten sie sich das vorstellen. Er zum Beispiel: Vater Beamter, Mutter Hausfrau; Kindergarten, Klavierstunde und so weiter und so fort. Dann der Krieg, Artillerie, Gefangenschaft...
    «So habe ich mich immer weiterentwickelt, von Stufe zu Stufe. - Und nach dem Krieg hat sich mein Schriftstellertum wie aus einer Hülse heraus, teleskopartig aus der Halterung herausgeschoben. »
    Er dachte an Bambus dabei, aber die erklärende Handbewegung geriet ihm obszön.
     
    Während es aus ihm herausredete, musterte Alexander die am Deutschen so interessierten Studentinnen, Farmertöchter, eine wie die andere, entformte Figuren darunter, aber auch magere. Irische Typen, englische und eine südländische mit schwarzem Haar und großen dunklen Augen, die genau richtig war. Sie musterte ihn nachdenklich, und er konnte nicht umhin. - Dieser Mann war bei der Artillerie gewesen, mochte sie denken. Was bedeutete das bloß: Artillerie?
    Die Studenten hörten ihm zu wie einem Märchenerzähler, sie rückten ihm auf den Pelz. Auf dem Fußboden saßen sie und auf den Armlehnen ihrer sehr verschiedenartigen Sessel und Stühle, und sie horchten in sich hinein, ob sich in ihnen auch irgendetwas teleskopartig entwickelt. Gelegentlich notierten sie das eine oder das andere: Mit links taten sie das, und den Stift hielten sie zwischen zweitem und drittem Finger. Alexander hätte gern gewußt, was sie da aufschreiben.
     
    Zum Schluß erhob er sich und sagte das Stufengedicht von Hermann Hesse auf, das er noch aus der Schulzeit kannte. Zur Abrundung war das gedacht. Das rührte den Professor, der das wahrscheinlich auch aus der Schulzeit kannte, und er barg das Haupt in beiden Händen.
    Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe …
    Diese Stunde war glatt gelaufen, nur am Schluß fragte der bärtiger Student: Woher er das alles weiß?
    Da blieb Alexander die Antwort schuldig. Ja, Gott, dachte er, woher weiß ich das? Ist es denn ein Geheimnis?
     
    Zum Abendessen gab es heißen Käseauflauf, der zog Fäden. Die Köchin stand in der Tür und schaute zu, wie’s schmeckt. Sie stammte aus Irland und konnte natürlich kein einziges Wort Deutsch, brauchte sie ja auch nicht. Um zu quirlen und zu schöpfen brauchte man kein Deutsch. Das Zeug, das sie da auftrug, schmeckte ganz gut. Alexander zog allerdings Borsten eines Pinsels aus den Zähnen hervor, wie Fischgräten. Hat der Mann am Ende was zu meckern?, dachte die Köchin vielleicht. Ist es nicht ganz normal, daß sich auch mal Pinselborsten im Essen finden? - Schon recht, schon recht, aber Borste ist schließlich Borste.
     
    Am Abend trat ein Gitarrensextett aus Stralsund auf, die große Scheune war für solche Zwecke hergerichtet worden. Der Professor hatte es zuwege gebracht, daß diese Bürger der DDR ihren wohlfeilen Auftritt von der offiziellen Tour ihrer Staatsagentur, die natürlich nichts mit den«Deutschen Wochen»zu tun hatte, abzweigten. Das konnte sich die Sommerakademie nicht entgehen lassen. Aber niemand durfte das wissen! Um Gottes willen! DDR! Das würde absolut ins Auge gehen. - Als die Musiker hörten, daß Alexander ein westdeutscher Autor aus der Gegend von Bremen wär, wichen sie vor ihm zurück, so freundlich er sich ihnen auch näherte. - Dreißig Stühle hatte der Professor in die Scheune geschleppt, und es kamen am Ende zehn oder zwölf Studenten, obwohl der Professor mehrmals gesagt hatte, er würde sich persönlich sehr freuen, wenn recht viele kämen … Gitarrensextett? Die Leute machten Schularbeiten, wie es hieß,«Die Metamorphosen im Wandel der Geschichte»oder«Die Metamorphose der Metamorphosen», wie sie scherzten. Wieder andere warfen dem Hund den Ball aufs Dach. Sie mußten das tun, der Hund erwartete es.
     
    Die Leutchen aus Stralsund spielten auf ihren zum Teil grotesk geformten Instrumenten ganz ausgezeichnet: auf sehr langen und sehr kurzen Instrumenten, auf Theorben, Lauten und Gitarren jeder Art, die sie oftmals sogar auswechselten während des Spiels. Sie boten nichts Anbiederisches dar,

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