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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Verkehrsampeln«Orange»zwischenschalteten zwischen Rot und Grün.
     
    So saß man denn im Lindenkrug zum Lindenfest. Spät erkannte Alexander die Gefahr, daß er als deutscher Dichter hier zum Singen aufgefordert werden könnte, und er überlegte: Was mach ich bloß, was mach ich bloß?«Sommer will uns wieder bringen … grünen Wald und Vogelsingen?»- Oder:«Eins, zwei, g’suffa»? Aber er wurde nicht aufgefordert. Das«singende Deutschland»war noch nicht drangekommen in der Sommerakademie.
    Dafür sprach ihn ein älterer Mann an, der sich sehr straff hielt, von hinten schaufelte er sich durch die Menge. Ob Alexander in der Waffen-SS gewesen sei, wollte er wissen. Drüben am Tisch säßen noch zwei Kameraden, ob er nicht ein Bier mit ihnen trinken will?
    Warum nicht?, dachte Alexander, das sind schließlich auch Menschen … Aber er mußte ja zu seinen Studenten, das war nun einmal nicht zu ändern.
    Erst mal noch auf die Toilette gehen, und der Herr mußte auch grade auf die Toilette, und, das konnte man wirklich nicht anders sagen, er hatte einen starken Strahl!
     
    Als Alexander an diesem Abend ins Bett ging, fand er auf dem Nachttisch Gummibärchen liegen. Schließlich kam er doch aus Deutschland, und da aß man doch dauernd Gummibärchen? War es die Klavierspielerin gewesen? Oder das südländische Mädchen? - Der bärtige Student kam jedenfalls nicht in Frage.
     
    Am nächsten Tag fuhr der alte Professor trotz der auf ihm lastenden Arbeit mit Alexander weit hinaus. Eigentlich hatte Alexander mit seiner metamorphosischen Freundin ein nahes Gewächshaus besichtigen wollen, im Wald, das arg verfallen sei, also sehr romantisch … Aber der Professor sagte, er müsse unbedingt sein Haus ansehen, sein Refugium, hoch oben auf den Klippen des Stillen Ozeans! Günstig erworben zu einer Zeit, als noch niemand dran dachte, sich hoch oben auf den Klippen ein Haus zu bauen! Heute natürlich doppelt so viel wert. Alexander hatte gedacht, es liegt unweit der Sommerakademie, vielleicht ein halbes Stündchen entfernt, aber es kam anders: Der Professor hatte die Ärmel seines Baumwollpflückerhemdes aufgekrempelt, und sie fuhren durch Felder und Wälder und auch an der Küste entlang, mal näher am Wasser, mal weiter weg. Zwischendurch hielten sie mal hier an und mal da, eine«old factory»war zu besichtigen, wo es Antiquitäten zu kaufen gab, also Pinkelpötte und Bügeleisen. In einer Bucht, in der noch vor einigen Jahrzehnten Walfische ausgeschlachtet worden waren, tranken sie Kaffee. Hier konnte man einen Felsen besichtigen, der wie das Profil von Elvis Presley aussah, das stand jedenfalls auf einem Schild zu lesen. In einer Andenkenbude wurden Bildpostkarten dieses Phänomens feilgeboten. Die Menschen kamen von weit her.
     
    Auf ihrer Fahrt kamen sie auch an einem Automuseum vorüber, einer Scheune, auf deren Dach in sehr großen Lettern stand: AUTO MUSEUM. - Eine Sammlung von Oldtimern? Die würde man sich mal ansehen müssen. Aber die Tür war verschlossen:«Closed. No cars, no nothing.»Die Sache hatte sich wohl nicht rentiert.
    Gleich daneben wurde Obst verkauft, Alexander kaufte ein Körbchen Himbeeren und Pfirsiche.
    Der Professor drängte weiter:«Bald sind wir da!»sagte er, und schließlich war es auch soweit, sie langten an - Alexander kam es so vor, als seien sie von Bremen nach Köln gefahren! Die Hütte stand tatsächlich oben auf den Klippen des Stillen Ozeans, mit starken Balken von unten abgestützt. Und die Wellen schlugen ihre Gischt immer bis knapp unter die Hütte. Schschscht!, ging das. Der Professor stellte sich in Positur, reckte die dürren Arme mit ihrer aufgefalteten Haut und rief:«Ja, das ist nun mein Reich. Hier fühle ich mich sauwohl.»Es sei seine ureigenste Idee gewesen, sich hier ein Refugium zu errichten.
    Er schloß die Tür auf, und sie traten ein. Hier habe er seine Bücher, dort seine Liegestatt, er brauche nur die Hand auszustrecken. Über dem Bett stände sein geliebter Herder. Und hier hat er eine Kombüse, wo er sich ab und zu mal ein Steak brät,«und dort ist die Toilette».
     
    Daß sich dieser Pädagoge mal ein Mädchen aus der Schule herauspickte und mitnähme in seine Einsamkeit, war wohl nicht der Fall.
    Aber ein Gespräch mit einem Autor aus dem fernen Europa ließ er niemals aus. Wenn er sich auch an deren Namen nicht mehr so recht erinnerte.«Hinz und Kunz ist bereits hiergewesen. Also alles, was Rang und Namen hat.»Ewig schade, daß er kein Gästebuch

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