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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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aus Stralsund bereits das Weite gesucht hatten - seine Zeitungen hatten sie mitgehen lassen -, betrachtete Alexander in der Mensa die vielen verschiedenen Salate und Müslis, die da auf dem Tresen aufgebaut waren, dazu die unterschiedlichsten Saucen und Nüsse und Früchte jeder Art. Er nahm sein Notizbuch heraus und schrieb alles der Reihe nach auf. Das würde ihm Marianne sonst nie im Leben glauben.
    Während er alles notierte, wurde er von der Köchin gestoppt, ob er eben mal mit ins Office kommt? Was er da zu schreiben hat? Ob er am Ende nicht zufrieden ist mit dem, was sie auftischt?
    «My name is Alexander Sowtschick», sagte er,«and I’m invited …»
    Schon gut, schon gut, aber warum aufschreiben? Sie könne sich schon vorstellen, wozu er das haben will … Und: Er soll mal dran denken, daß sie zwei Kinder zu versorgen hat, geschieden und keinen Unterhalt, und daß sie froh ist, diesen Job zu haben, im Herbst steht sie dann wieder«ohne»da …
    Aus Nordirland kam sie. Daß Alexander am Athabasca einen Iren aus der Republik getroffen hatte, interessierte sie nicht. Alexander hätte sich gern ein wenig zu ihr gesetzt, neben die dampfenden Kessel. Hätte er ihr erklären sollen, daß er im Prinzip Menschen wie sie sehr gern hat?
     
    Zu seiner zweiten Lehrstunde erbat Sowtschick von dem asiatischen Mädchen und ihrem bärtigen Freund ein Schubertlied, und er erklärte den Leutchen, wie klug Schubert den Text auf seine Weise kommentiert und weiterentwickelt hätte in eine andere, irrationale Dimension hinein. Und dann sprach er über die Metamorphose eines Gedankens im Roman. Zeichnete auf der Tafel herum, wie sich der Stoff allmählich entwickelt, eines aus dem anderen, und alle waren einigermaßen baff, wenn sie auch nichts verstanden.
    Sie dachten vielleicht, ein Schriftsteller schreibt alles einfach so hin, wie’s ihm gerade einfällt?
    Am Schluß wurde er nach anderen deutschen Schriftstellern gefragt. Er liest eigentlich nur russische und englische Bücher, sagte er, aber dann gab er doch seine Einschätzung der deutschen Schriftsteller bekannt. Und er mußte sehr an sich halten, damit er den Ausdruck«Dünnbrettbohrer»nicht wieder und wieder gebrauchte.
    Als Alexander hinausging, fragte der bärtige junge Mann:«Wie können Sie das eigentlich beurteilen?»und guckte sich um, was die Mädchen dazu sagen, daß er sich hier so was zu fragen traut. Da sagte der Professor zu ihm:«Sie kommen bitte nachher mal zu mir ins Büro.«
     
    Am Nachmittag ließ es sich machen, daß er dem südländischen Mädchen mitteilte, die Metamorphosen seien ihm schnurzegal. Eigentlich hatte er sich etwas hinlegen wollen, aber dann stand sie da, und was sollte er machen, er zeigte ihr auf der großen Karte, wo Bremen liegt.«Aha, da also liegt Bremen...»Und dann fragte er sie natürlich, wo sie denn wohnt, in welchem der verschiedenen Staaten dieses großen Landes, und sie schickte sich an loszulaufen und eine«map»zu holen, ließ es dann aber. Es hat ja doch keinen Zweck.
     
    Am Abend wurde ein«Lindenfest»in einem sehr weit entfernten Vorort gefeiert.
    Ein«Lindenfest«? Das konnte man sich nicht entgehen lassen! Sowtschick wurde herzlich gebeten, doch ja mitzukommen, die jungen Leute würden sich darüber freuen. Also fuhr er mit amerikanisch sprechenden Studenten, die sich allesamt verschworen hatten, an diesem Abend auch untereinander nur immerfort deutsch zu sprechen, in Gottes Namen zum«Lindenfest».
    Das Fest wurde in einer mit Tannenreisig ausgekleideten Werkhalle gefeiert, Ölflecken auf dem Betonfußboden. Von weit her waren Menschen gekommen. Bockwürste, Bier und eine Kellnerin im Dirndlkleid. Musik machte eine Akkordeongruppe.«Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern …»Sehr große Instrumente und sehr kleine hatten sie. Anderthalb Stunden mußte auf die Wurst gewartet werden, weil der Wirt mit so vielen Menschen nicht gerechnet hatte. Und die Musik fing immer wieder von vorne an. Besonderen Beifall kriegte ein kleiner Junge, der auf einer winzigen Mundharmonika«Happy birthday to you»spielte, etwas anders konnte er wohl nicht.
    Ja, es dauerte«ewig», bis man das Essen kriegte, aber das lange Warten sei«continental», eine Studentin wußte das, die war schon mal in Deutschland gewesen. Es hatte ihr drüben alles sehr gut gefallen, die Brötchen und das Schwarzbrot, die Wurst nicht zu vergessen. Das einzige, was sie in Deutschland gestört hatte, war, daß die

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