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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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hatte keinen Zweck, auf sie zu warten. Die habe wohl was anderes vor, sagte Victoria. Vielleicht liege das auch an dem«p.c.», das auf seiner Akte fehle, das könne sein. Es sei ihr auch aufgefallen, daß dies auf seiner Akte fehle. Er gelte als nicht«p. c.», und das erkläre vieles.
     
    Statt der Journalistin kamen schließlich zwei Zeugen Jehovas, die stellten sich mit ihren Aktentaschen neben den Tisch und gaben warnende Reden von sich.
    Dann mußte aufgebrochen werden - sie werde Ann von ihm grüßen, sagte Victoria, und Alexander hopste in einer Propellermaschine davon. Mit deutschen Zeitungen war er wohlversorgt, die waren zwar Tage alt, aber da konnte man endlich mal lesen, wie’s in der Heimat zuging.

26
    Freies Land auf freier Scholle. Auf einem kleinen freigeräumten Fleckchen Erde, einer stillgelegten Farm, umgeben von den Resten eines Waldes, war eine Sommerakademie für deutsche Sprache eingerichtet worden, Deutschland im kleinen. Eine Lindenallee lief auf das Haupthaus zu, zwei Eichen standen links und rechts davor, seitab eine große Scheune sowie zwei wie aus Pappe zusammengenagelte Baracken. Über der Tür hing ein Schild: DEUTSCHE WOCHEN.
     
    Als Alexander aus dem Wagen sprang, vergnügten sich Studenten auf dem Hof gerade damit, immer und immer wieder einen Ball auf das Dach der Scheune zu werfen. Er rollte herunter, und ein großer schwarzer Hund fing ihn auf. Hin und wieder flog der Ball auch über das Dach hinweg, dann raste das Tier jaulend um das Haus herum.
    Einer der Studenten warf den Ball statt auf das Dach auf Alexander zu. Er soll mitspielen, bedeutete das, das ist lustig! Aber ehe er es begriff, war der schwarze Hund schon heran und griff sich das Leder.
     
    Alexander wurde von dem weißhaarigen Professor, dessen ureigenstes Werk die Sommerakademie war, mit ausgestreckten Armen willkommen geheißen.«Schön, daß Sie da sind«, sagte er, und das klang so, als hätte er gar nicht damit gerechnet, den Autor der«Wolkenjagd», Alexander Sowtschick, tatsächlich hier zu sehen. So viele Gäste von drüben waren schon gekommen, um an dieser Stätte von deutscher Kultur zu künden, Namen! Namen! Ja, Gott, die Namen … Und nun der Herr Sowtschick höchstpersönlich.
    «Von Dr. Kirregaard aus New York sind mir schöne Grüße an Sie aufgetragen worden», sagte der Mann.«Haben Sie schon seine Kindheitserinnerungen durchgesehen? ‹Gleitflug›? - Schöner Titel, nicht wahr?»Dr. Kirregaard warte auf irgendein Urteil, das sei doch verständlich. Dürfe man einen solchen Menschen warten lassen?
    «In New York haben sich die Wellen jetzt geglättet, das soll ich Ihnen ausdrücklich bestellen.»
    Welche Wellen?
     
    Im Büro hing eine Deutschlandkarte, in der Mitte säuberlich durch einen breiten Strich geteilt - Ost und West -, zwei Poster daneben, die Burg Eltz an der Mosel links und die Wartburg rechts.
    Alexander mußte allerhand unterschreiben, er empfing Essensmarken, die er bloß nicht verlieren solle!
    «Ich bin ganz allein, niemand hilft mir, früher ist das anders gewesen, da hat mich Bonn unterstützt … Die DDR sorgt für ihre Leute, wo sie kann, die Kommunisten wissen, wie man Reklame macht für sein Land.»In gewisser Weise hänge er sich da dran, hin und wieder, er sei schlau!«Bisher sind noch alle Ostleute gekommen, die ich darum gebeten habe. Mehr oder weniger heimlich allerdings.»Deutsche Sommerakademie? So was konnte auch mißverstanden werden.
     
    In der Halle übte ein asiatisch aussehendes Mädchen an einem ramponierten Bechstein-Flügel Schubertlieder, und sie machte das gar nicht schlecht. Ein junger bärtiger Mann stand in der Sängerbucht und sang dazu, das war nicht gerade feierlich.
    Auf dem Flügel war ein Kölner Dom aus Papier aufgestellt. Der war wohl schon oft heruntergefallen …
     
    Der Professor nahm die Schlüssel vom Haken und ging mit Alexander hinüber zu den Baracken. - Er stieß die Tür zu einer Kammer auf:«Hier können Sie wohnen. Dies ist Ihr Reich, hier stört Sie niemand … Aber pünktlich zum Essen erscheinen, danach gibt’s dann nichts mehr.»Ein bißchen überlastet wirkte der Mann, der hier sein Lebenswerk in Gang hielt. Sein Kopf würde nach seinem Abtreten wohl nicht in Bronze gegossen werden.
     
    Am Nachmittag saß Alexander bereits zwischen freundlichen Studenten, jungen Menschen, die es in den Vereinigten Staaten gegen alle Vorstellungen mit der deutschen Sprache versuchen wollten. Großeltern deutsch? Onkel deutsch? Warum

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