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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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für amerikanischen Studentengeschmack Bestimmtes, gar Songs, Rock oder Pop, sondern sie spielten stramm und ohne Federlesens Bach der strengsten Art! Da stahl sich der Rest der Zuhörer denn auch noch fort.
     
    Daß die jungen Leute das Musizieren in einer DDR-staatlichen Musikhochschule von der Pike auf nach ehernen Gesetzen gelernt hatten, war nicht zu überhören.
    Es war gut, daß Alexander weit hinten saß, dort, wo es dunkel war, denn er mußte sich wiederholt schneuzen.
    Was er da hörte, traf ihn tief. Es rührte die gleiche Saite an, wie in New York die Jagdsonate es getan hatte, die aus den Straßenschluchten zu ihm gedrungen war, als er über der Toilettenschüssel den giftigen Hamburger erbrach.
    Ich bin überanstrengt, dachte er, und er versuchte sich zu beherrschen.
     
    In der Nacht umlagerte man einander, Teelichte standen im Gras. Auch die Musiker gesellten sich dazu, wenn auch mit deutlichem Abstand zu Sowtschick, der auf den Treppenstufen Platz genommen hatte, der Hund lag zu seinen Füßen. Daß man im Dunkeln keinen Ball mehr aufs Dach werfen konnte, sah das Tier ein. Zwischen den Musikern und dem freundlichen Herrn Sowtschick war eine unsichtbare Grenze aufgerichtet.
     
    Der Professor trat auch kurz unter die Menschheit, er dachte vielleicht an seine Jugendzeit, an Wanderungen durch die Rhön oder das Elbsandsteingebirge.«Seltsam im Nebel zu wandern …»Eigentlich hatte er seinen Unwillen kundtun wollen, daß nur so wenige das teure Konzert besucht hatten, aber dann, als er die jungen Menschen da so sitzen und liegen sah, wurde ihm doch weich ums Herz. So ist das nun einmal, Jugend sitzt in lauen Nächten gern beisammen, und das Alter nimmt die Brille ab und erinnert sich …
     
    Er ging wieder ins Büro, doch noch mal eben nachrechnen, ob er klarkommt mit den Kosten. Die Frage war, ob sich das Institut nicht vielleicht noch ein paar Jahre halten ließe.
    Würde er den Musikern einzeln was zustecken müssen, oder konnte er das pauschal abgelten? Was wäre günstiger? So was wollte gut überlegt sein. Schließlich wurden sie hier ja auch verpflegt.
     
    Die Kerzen blakten, und Motten schwirrten, und da!: eine Fledermaus! - Sterne waren nicht zu erkennen, Gestirne, zu denen Sonden unterwegs waren, aus Sperrholz zusammengebastelt, mit Silberpapier umwickelt, fünfzig Millionen Kilometer oder mehr, von Männern ausgeschickt, die zum dritten Mal verheiratet waren und abends der überlasteten Ehefrau die Küche aufräumten.
    Weit nach Mitternacht trennte man sich. Der Bart tragende Beau des Kursus hatte sich bereits eines der Mädchen geschnappt - ging es reihum? Er hatte sie umschlungen, wie Nacktschnecken im Weinberg, so gingen sie davon.
     
    Doch eh’ ein Mensch vermag zu sagen: Schaut!
Schlingt gierig ihn die Finsternis hinab.
     
    Sehr spät, als sich schon alles verlaufen hatte, setzte sich Alexander in seine Besenkammer. Er entfaltete die deutschen Zeitungen, um endlich mal zu erfahren, was denn da drüben eigentlich los ist. In Leipzig marschierten Menschen durch die Straßen! Ließ man das denn zu?
     
    Es klopfte an der Tür, einer der jungen Musiker kam herein und bat, er soll es bloß nirgendwo schreiben, daß er sie hier getroffen hat … Wenn das die Staatssicherheit erfährt … Kurze Zeit später kamen auch seine Kollegen, und nachdem sie ihm den Unterschied zwischen Gitarre und Laute erklärt hatten und was für ein großartiges Instrument die Theorbe ist, sagten sie: daß es bloß keiner erfährt, daß sie an den«Deutschen Wochen»teilgenommen haben! Rausschmiß aus der Hochschule wär noch das mindeste!
     
    Als sie sich endlich trennten, schob Alexander dem Chef der Gruppe im Händedruck fünfzig Dollar zu, und das wurde ohne Zucken akzeptiert. Ob sie die Zeitungen mitnehmen dürften, fragten sie ihn noch. Diese jungen Leute wollten schließlich auch wissen, was die Glocke geschlagen hat.
     
    Und noch einmal klopfte es. Diesmal war es das südländische Mädchen. Es wollte wissen, ob Alexander ihm nicht noch einmal ganz genau erklären könne, was«Metamorphosen»sind. Sie kapiere es einfach nicht. -«Komm am besten morgen früh zu mir, mein Kind», sagte Sowtschick zu ihr,«dann sind wir frisch und ausgeruht, und der Kopf ist frei, dann sprechen wir über die Metamorphosen, so lange du willst.»Einen leichten Backenstreich gab er ihr zum Abschied.
     
    Dry toast with butter. Am nächsten Morgen, als der Hund schon längst wieder hinter dem Ball herlief und die Musiker

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