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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Jünglinge kamen dazu, die aussahen, als stammten sie noch aus Montezumas Zeiten, und Frauen, laut und böse, und Rutherford wurde bereits geschubst. In der Ferne zeigten sich Polizisten, die sich aber wegdrehten, sie konnten sich schließlich nicht um alles kümmern. Sie hatten schließlich noch was anderes zu tun.
     
    Sowtschick kroch ein wenig in sich zusammen, bereit, sich am Türgriff festzuhalten, wenn man ihn aus dem Wagen zerren würde, und auf keinen Fall loszulassen.
    Der blonde Rutherford stand in der offenen Tür, eine Hand am Steuerrad. Hier jetzt wegzufahren, das wäre nicht gegangen, da hätte man ihn sofort gepackt!
    Da fiel es ihm ein, auf Alexander zu zeigen und in feierlichem Ton zu sagen:«Mal eben Ruhe bitte: El ruso … dieser Herr ist Russe!»
    Die Wirkung war verblüffend.«El ruso? - ah …», das war was anderes. Wenn sich das so verhielt, konnte man diese Fremden ja ziehen lassen. Um einen Russen handelte es sich, einen Freund der Werktätigen … Man erklärte es den bösen Frauen und auch den beiden Kindern: ein Russe! Wer hätte das gedacht! Warum hatte er das nicht gleich gesagt? Der Mann mit dem Esel zeigte es seinem Tier, daß Alexander ein Freund des Volkes ist, und die Menschen riefen es auch den Polizisten zu, die nähergekommen waren.«Ein Russe!»Ein Kommunist! Hurra! Und gern hätte man die beiden Fremden in ein Haus gezogen und mit ihnen Lieder gesungen und Wein getrunken …
     
    Sehr langsam setzte sich Rutherford ins Auto, bloß nicht noch reizen die Leute, sonst überlegten sie sich das noch! - Er startete, und das Auto fuhr auch tatsächlich, trotz seines Alters, sofort los und um die Ecke, ohne auch nur im geringsten zu bocken oder zu knattern.
    «Wenn ich gesagt hätte, Sie sind Deutscher - das hätte hier keiner verstanden …»
    Sie fuhren davon, nun doch so schnell wie möglich. Sowtschick blickte zurück zu den Leuten, die ihnen allesamt nachstarrten. Er winkte ihnen zu, und dann hielt er ihnen den Heiligen hin, hielt ihn in das Heckfenster. Das mochte sie in neue Fragen stürzen. War ihnen das rätselhaft? Hoben sie jetzt die Fäuste?
     
    An der Grenze, auf der amerikanischen Seite - ach, wie war dort alles sauber und ordentlich! Die Brillen der Zollbeamten so blank und die edlen Sheriffsterne der Polizisten! - Dort hatte man die Sache bereits mit Ferngläsern beobachtet, und man gratulierte den beiden und sagte: Glück gehabt! Die mexikanische Polizei nimmt ab und zu mal Fremde fest, weil sie angeblich frech gewesen sind, das Auto nicht in Ordnung oder der Paß … und dann ins Gefängnis gesperrt und erst Monate später gegen fünfhundert Dollar oder mehr wieder freigelassen. Auto futsch und so weiter. Die mexikanische Polizei, das müsse man wissen, mache mit den Gaunern gemeinsame Sache. - Das also hätte Alexander geblüht. Mit Schrecken dachte er daran, daß er ja sein ganzes Geld bei sich hatte. Im Gürtel steckte es. Zwanzig Honorare zu je zweihundertfünfzig Dollar! Was für ein Leichtsinn!
    Das wäre doch alles futsch gewesen!
    Obwohl man vor der Fahrt doch vollgetankt hatte, stand nun der Zeiger auf Reserve. Da hatte die alte Mexikanerin sich also bedient.
    Nie wieder Mexiko, nie wieder irgendwohin! Lieber sich in ein Aquarium werfen lassen, Mund auf, Mund zu, oder sich in einen Drahtkäfig hocken zu fremdartigen Vögeln, sagte sich Alexander.
     
    Rutherford fuhr davon, und Alexander setzte sich in ein sauberes amerikanisches Mexiko-Restaurant. Im Innenhof sprang eine Fontäne auf und nieder. Er bestellte all das, was er drüben verschmäht hatte - und er freute sich über die weiße Tischdecke und über die geputzten Gläser. Der Kellner trug eine weiße Schürze und eine schwarz-gelb gestreifte Weste aus Seide. Die Heiligenfigur hatte Alexander neben sich auf der Bank stehen wie eine kindliche Mißgeburt. Was das für ein Heiliger ist, wollte der Kellner wissen. Das wußte Alexander nicht, aber jedenfalls hatte er ihm Glück gebracht. Zu Hause schlug er die Figur in ein Handtuch ein, die Reinemachefrauen brauchten sie
    nicht zu sehen. Sich mit ihnen über Geschmacksfragen zu unterhalten, spürte er keine Neigung.
    In der Nacht hatte Alexander einen besonderen Traum. Er lag im Bett und hatte einen Mann im Arm, kratzige Wange, lange Glieder. War es Adolf Schätzing?
    Und am Morgen war sein Kissen naß von Tränen.

33
    Und dann saß er auf den Klippen des Stillen Ozeans, den Fotoapparat um den Hals. Der Pazifik schlug mit ruhiger Kraft ans Ufer.

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