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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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die Straßen, durch die sie eben gefahren waren, und kamen an einen Markt. Als sie sich da sehen ließen, machte es brrr!, und Wolken von Fliegen erhoben sich von den ausgelegten Fischen und Fleischbrocken.
    «Haben Sie den Hund gesehen auf dem Hof?»fragte Rutherford.«Angekettet und der Sonne ausgesetzt.»- Wenn er zu den Leuten was gesagt hätte, na, hören Sie mal, das arme Tier, die hätten gar nicht kapiert, was er von ihnen will.
    Auf dem Marktplatz stand eine Kirche mit zwei arg verzierten Türmen und einem verschnörkelten Giebel.
    Sie stiegen die breite Treppe wie zwei Würdenträger Stufe für Stufe hinauf zum Portal, an Bettlern vorüber, die ihnen die Hände entgegenhielten.«Nichts geben, um Gottes willen, dann müssen Sie, wenn wir rauskommen, noch einmal zahlen …», sagte Rutherford.
    Sie gingen hinein in die Dunkelheit. Und es war wirklich sehr dunkel, ein bißchen buntes Licht fiel durch kleine Fenster, und vorn, an der goldenen Altarwand - kaum zu erkennen -, machte sich ein Priester zu schaffen. Papierblumen auch hier und große naive Heiligenfiguren aus Holz, die an den Säulen hingen. Sie schienen sich auf die Gläubigen hinabzubeugen. Weihrauch und Geruch nach qualmenden Kerzen.
    Rutherford war Baptist, er schüttelte den Kopf über das Getue des Priesters da vorn. Nicht viel hätte gefehlt, und er hätte auf den Boden gespuckt. Alexander hingegen ward eingenommen von der Szenerie. Das kannte er schon, das war seine mystische Seite. Auch im Kino, wenn’s dunkel wird, früher, dieses Wechselspiel der Farben auf dem Vorhang, und dann noch bung-bongböng dazu. Er setzte sich in eine Bank und fragte sich, ob es nicht doch richtiger sei, zur allein selig machenden Kirche zu konvertieren.
    «How good it is, hard to work»… Schon gut, schon gut, aber sich in dieser Hut niederzulassen, zusammenzusinken, von großen Händen aufgenommen zu werden in einen Schutz, von dem man vorher keinen Begriff hatte?
     
    Er ließ in sich mittelalterliche Gedanken und Gefühle aufkommen. Doch nicht lange hing er ihnen nach, denn ein starker Geruch nach Kot wallte auf ihn zu, Menschenkot der derbsten Sorte. Vor ihm saß ein alter Mann, der wohl die Hosen voll hatte, ein sehr alter Mann, vielleicht so alt wie Alexander. Mit Lumpen auf biblische Weise bedeckt. Kein Inhaber einer Unterhose der Marke BOSS.
    Als sie wieder ins heiße Licht hinaustraten, hatten sich dort inzwischen die Bettler vermehrt. Die beiden schritten an ihnen vorüber die Treppe hinunter, und Alexander verteilte Dimes, wie man es von ihm erwartete. Ein paar Kinder kamen hinter ihnen hergelaufen:«Señor! Señor!»riefen sie und hielten die Hand auf, ein kleines Mädchen hatte sogar ein Kind auf dem Arm. Alexander mußte an sein luxuriöses Haus in Sassenholz denken, an den Schafsbock über dem Sofa, den Innenhof und den Schwimmgang, und er langte bereits in die Tasche … Aber Rutherford jagte die Kinder fort, und er tat das so entschieden, daß sie auch wirklich wegliefen. Die Polizisten an der Ecke fanden das ganz in Ordnung, die hatten dafür Verständnis.
     
    Wie verkommen das Städtchen auch war, in den Souvenirläden blitzte und blinkte es auf amerikanische Art. Manische Folklore, aus bemaltem Konservendosenblech verfertigt, herrschte vor: männliche Sonnen mit Schnurrbart, Vögel, Fische, zoologische Gärten in unterschiedlichen Größen …
    Alles lustig, alles irgendwie verrückt.
    Aber es war nichts Außergewöhnliches zu sehen, nichts, was Gäste in Sassenholz neidisch machen könnte. Auf den Regalen stand jede Figur zehn-, zwanzigmal hintereinander, akkurat ausgerichtet, auch jede Vase zwanzigfach: Es hätte ja sein können, daß Busse hier haltmachten, mit Hunderten von Touristen, die sich dann stritten, weil jeder dasselbe wünscht, da kommt man dann nicht in Verlegenheit.
    Auch Hinterglasmalereien hingen hier, und der Blitz, der in den Apfelbaum schlägt, war mehrmals vertreten.
     
    Alexander hätte gern was Exklusives gehabt, eine Heiligenfigur etwa, von der Sorte, wie man sie in der Kirche gesehen hatte, naiv geschnitzt und bunt bemalt. In Sassenholz hätte er sie in den Innenhof, in dem der Brunnen seinen Namen flüsterte, schräg an die Wand gehängt. Und die Gäste dann:«Nein, woher haben Sie bloß diese Figur?»-«Aus Mexiko», würde man dann sagen,«aus meiner Zeit in Mexiko.»Und man würde es«Mechiko» aussprechen, auch auf die Gefahr hin, daß diese Leute das dann gar nicht verstünden.
    «Ja», würde Marianne

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