Letzte Gruesse
die klebrigen Hände abspülte und wieder zur Tür zurückkehrte, war sie verschwunden.
Alexander machte sich einen Kaffee und setzte sich auf den Bootssteg. Er hätte arbeiten können oder Zeitung lesen, aber er sah nur zu dem Tanker hinüber. Sein Notizbuch lag neben ihm, aber er trug es nicht ein, daß hier ein Tanker auf Reede lag, das würde er sowieso nicht vergessen.
Wenn ein Schwimmer an ihm vorübergekrault wäre, hätte man sich da gegrüßt?
Gegen zehn Uhr kam Professor Tennhoff, der Holländer, außer Atem und verschwitzt, der Parkplatz meilenweit entfernt! Immer wieder hätte er Alexander zu erreichen versucht! Den ganzen Vormittag, es sei zum Kotzen gewesen …
Nun ja. Warum? War man denn nicht verabredet?
Der Professor hatte einen Wagen gemietet, silbermetallic, innen rot gepolstert, mit Klimaanlage, und ab ging es in die Wüste. Es war nett von dem Mann, daß er Alexander mitnahm, aber das hatte wohl mit den Fahrtkosten zu tun, die würde man auf diese Weise teilen können. Holländer wußten genau, was sie wollten. Erst mal volltanken und dann ab!
Immer geradeaus ging es, und es handelte sich tatsächlich um Wüste, Meile um Meile fuhren sie geradeaus, gegen die knallende Sonne. Ab und zu war die Straße sanft geschwungen. Aber dann wieder geradeaus. Kamelen würde man hier nicht begegnen.
Tennhoff berichtete des langen und breiten vom Ungemach, das die Deutschen im Krieg seinen Eltern zugefügt hatten, er selbst konnte sich dunkel an Haussuchungsaktionen erinnern, wobei ein warmgelegenes Bett eine Rolle spielte, daß die Deutschen also die Kissen untersuchten, ob sie noch warm sind oder schon kalt, ob also ein Widerstandskämpfer gerade eben aus dem Fenster gesprungen war.
Es sei doch eigenartig, daß er, der Sohn eines holländischen Widerstandskämpfers, jetzt mit einem ehemaligen Angehörigen der deutschen Wehrmacht unter einem Dach durch die Wüste kutschiere, weit und breit keine Menschenseele. Und sie täten einander nichts!
Die Großeltern des Holländers hatten in Indonesien Unglaubliches erlebt. Das allerdings war den Deutschen nicht anzulasten, das merkte der Holländer etwas zu spät.
Ein Bett untersuchen, ob es noch warm ist? In der Tat, das kriegten vielleicht doch wohl nur die Deutschen fertig …
Sowtschick bedauerte ganz allgemein das Schlimme, das Menschen über Menschen brächten, und die Deutschen über seine Familie im Speziellen, und er erzählte von den dänischen Jungen, die jetzt in Sassenholz von Marianne betreut würden. Lagerfeuer, Zelte, Suppe kochen und Stullen schmieren … So wachse Europa allmählich zusammen über alle Grenzen hinweg. Suppe kochen heiße auf plattdeutsch«Supp’ kåken». Im Niederländischen doch gewiß auch? Zwei Länder und dieselbe Sprache, das sei doch auch was Verbindendes.
«Dieselbe Sprache?»sagte Tennhoff.«Wieso?»«Kochen»heiße auf holländisch«koken»,«Soep koken». Das sei doch ganz was anderes als«Supp’ kåken»... Ja, sagte Alexander: und«sein Süppchen kochen»sei noch wieder was anderes. Bei den Russen habe es pro Tag einen dreiviertel Liter Wassersuppe gegeben …
Als Alexander ihn dann noch fragte, wieso die Holländer sich eigentlich mit den Flamen nicht vereinigten, sie seien doch ein Volk?, da lachte er laut und schlug aufs Lenkrad! Die Flamen! Ganz primitive Leute, Kleinbürger … Nein. Womöglich mit den deutschen Ostfriesen zusammen einen Staat bilden?
Das hätte noch gefehlt …
Die Flamen hätten sich reihenweise zur SS gemeldet, das sei charakteristisch für diese Leute.
Das Gespräch wurde unerquicklich, schließlich lenkte Alexander es auf Rilke, weil es sich bei diesem Dichter um das Spezialgebiet des Professors handelte.
Alexanders Vorgänger, Adolf Schätzing, jung noch und mit der unheilvollen Vergangenheit der Deutschen nicht belastet, sei ein hervorragender Rilke-Kenner gewesen, sagte Tennhoff, der habe sogar Spezialkenntnisse über die Duineser Elegien gehabt! Wundervoll!
Traurig, daß er nun mit seinem Knie solche Maleschen habe. Er, Sowtschick, sei wohl kerngesund? Kreislauf in Ordnung? Alle Deutschen hätten es mit dem Kreislauf, und kein Mensch wisse in Holland, was das eigentlich ist:«Kreislauf». In Holland gebe es nicht einmal ein adäquates Wort dafür.
Kreislauf und Zugluft. Alexander steuerte gutgelaunt zum Gespräch bei, daß die Deutschen in Marokko«Ziehts»genannt würden, weil die Marokkaner immer die Türen offenstehen lassen.«Es
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