Letzte Gruesse
hatte.
Er besah sich die Hände von außen, von innen, er drehte und wendete sie: Die Altersflecken und das Spiel der dicken Adern über den Sehnen - die Handlinien. Eine Handlinienleserin hatte ausgerufen: O Gott! Der Venusberg ungewöhnlich deutlich ausgeprägt, die Lebenslinie hingegen tiefgefurcht und arg zerfasert … Hinter das Geheimnis der Fingerrillen würde man nicht kommen, sie konnten zur Identifizierung dienen, waren aber nicht entzifferbar.
Habe ich gütige Hände?, fragte er sich. Ja, dies schien der Fall zu sein, wenn er sie ins rechte Licht hielt. Aber Alexander wußte, daß er auch schon zugepackt hatte. Und daß er mit ihnen auch schuldig geworden war.
Vielleicht sollte ich mir ein goldenes Kettchen anschaffen?, dachte er. Würde mich das verjüngen? Ums braungebrannte Handgelenk?
Wie konnte er es herauskriegen, ob Schätzing eins trug?
In einem nicht erforschbaren Rhythmus schlugen die Wellen mal heftiger, mal weniger heftig an die Klippen. Unter dem Schaum wurde zwischendurch gläserne Tiefe sichtbar. Ein Schwarm sehr kleiner Fische stand dort, ganz unbeweglich, aber in Bereitschaft, augenblicklich, nach rechts zu schwenken oder nach links: Wer gab das Kommando?
Wie viele mochten es sein? Millionen wohl nicht, aber doch Tausende. Brüder? Schwestern? Unleidige und Gutartige. Freunde, die sich dicht beieinander hielten, und Gegner, die einander mieden.
Alexander wußte nicht, ob er noch sitzenbleiben sollte oder aufstehen. Er rieb seine Fingerknöchel und blinzelte über das Wasser. Am Horizont stand ein übergroßer Tanker, er rührte sich nicht vom Fleck. Auch durch das Teleobjektiv der Kamera war keine Bewegung auszumachen. Selbst auf Pistolenschüsse hätte er nicht reagiert.
Schließlich stand Sowtschicks Körper auf. Er hatte ihn nicht dazu aufgefordert, er stand von selber auf und ging dem«Ausgang»zu, jenem Spalt in der Steilküste, in den eine Treppe eingelassen war. Wie die Männer auf dem Mond hinaufhüpfen? Er würde gefahrlos hinaufgelangen, die Felswände würden ihn nicht einklemmen.
Sowtschick hatte es nicht weit. Er ging an einem meeresbiologischen Institut vorüber, in dessen Eingang Manganknollen ausgestellt waren, die man vom Meeresboden geholt hatte, nicht unähnlich dem Mondgestein in Houston, wie Trüffel so kostbar! Dann durch einen Park, durch den ein Eisenbahnzug fuhr, mit der Signaltrompete kreischend, riesengroß, mit zwei Lokomotiven davor und einer nicht endenden Schlange von Waggons.
In dem Park lagen Tennisplätze, und zur See hin befand sich eine Reihe Bungalows, einer neben dem andern. Den Bungalow, den man für Alexander gemietet hatte, drei Zimmerchen mit Kochecke, in der sogar ein funktionierender Toaströster stand, verfügte über einen eigenen Bootssteg, aber ein Boot war nicht vorhanden.
Neben den Tennisplätzen stand ein Kiosk mit Zigaretten, Mützen, T-Shirts, Sonnenbrillen. Hier kaufte sich Alexander ein Eis und eine Zeitung. Es war ihm ein holländischer Germanist angekündigt worden, ein Gastprofessor der berühmten Universität Utrecht, der mit ihm eine Tour durch die Wüste machen wollte. Der Herr wollte sowieso in die Wüste fahren, was sprach dagegen, einen deutschen Autor mitzunehmen? War es ihm eine Ehre? Hatte er das gesagt?
Als Alexander mit dem Eis zu seinem Bungalow hinüberging, kam ihm auf dem breiten Promenadenweg, in einem komfortablen Rollstuhl sitzend, eine gelähmte junge Frau entgegen. Vielleicht eine verunglückte Drachenfliegerin? Eine Motorradfahrerin? Oder auf einer Gartenparty in den leeren Swimmingpool gestürzt? - Er sah, daß sie auf amerikanische Weise hübsch war, also derartig ebenmäßig, wie man es in Europa nicht zu sehen kriegte. Auch sie hatte sich ein Eis geholt, und als sie sich begegneten, hoben sie beide grüßend die Tüte in die Höhe. Und die junge Frau, die vielleicht grade achtzehn war, lächelte Sowtschick zu.
Im Briefkasten seines Bungalows fand Alexander die Nachricht vor, daß Professor Tennhoff schon den ganzen Morgen über versucht habe, ihn zu erreichen. Um zehn Uhr käme er, ihn abzuholen zu der Wüstentour. Nun ja, das war ja abgemacht. Alexander guckte durch das Türfensterchen hinaus in den Park, ob er den Rollstuhl noch sehen kann, und in der Tat: Die junge Frau guckte, Eis essend, den Tennisspielern zu. So stand also Sowtschick an der Tür und sah hinüber zu dem Rollstuhl, und das Mädchen sah den Spielern zu. Als er dann in die Küche ging und sich
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