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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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wer weiß, vielleicht wäre er dann zu den Menschen hinter der Treppe hinübergeschlendert und hätte gesagt:«… übrigens, werfen Sie mal einen Blick nach unten …»So lächelte er lebensüberdrüssig und linste nur eben an dem Fettfleck seines Fensters entlang nach unten, wo in der Tat Eisberge schwammen, einer hier, einer dort.
     
    Heiße Tücher wurden mit einer Spezialzange gereicht, und dann war es schließlich soweit, der rotierende Globus unter ihnen drehte sich langsamer und langsamer und kam schließlich zum Stillstand. - Krachend setzte die große Maschine auf, und rumpelnd rollte sie aus. Die Musik wurde angestellt, nun doch ganz angenehm, ein allgemeines Lebensgefühl ausdrückend. Alles sammelte sich zusammen.
     
    Sowtschick stopfte die SAS-Pantoffeln, die Wolldecke und das SAS-Necessaire in seine Flugtasche; er hätte gern noch ein zweites Necessaire mitgehen heißen, aber die waren schon alle abgeräumt worden von den«Upgegradeten», da war nichts mehr zu wollen. Diese Leute waren nicht von gestern. - Der Mann, der ihn auf die Eisberge aufmerksam gemacht hatte, suchte seine Nähe. Er schob sich an ihn ran und fragte, ob er ein Doppelgänger von diesem Schriftsteller wär, den er mal im Fernsehen gesehen hat.
    «Schreiben Sie mal wieder ein Buch?»

5
    Noch bevor dem großen Haufen die Schleuse geöffnet wurde, durften die Herrschaften aus der ersten Klasse die Maschine verlassen. Der junge Mann mit dem steifen Bein stieg als erster ans Licht der Sonne, und er verschwand. Hatte er denn vor sich hingepfiffen?
    Hatte er Alexander gar zugenickt?
    «Vielleicht hat er zu Hause ein Marionettentheater?»dachte Sowtschick. Und:«Was hat er in Amerika zu suchen?»- Und was hatte er selbst hier verloren?
    Ich entäußere mich meiner selbst, dachte er, was immer das bedeuten mag.
     
    Von einer Stewardeß behutsam geleitet, erreichte er unbeschadet das Flughafengebäude, das ihm irgendwie unbedeutend vorkam. Er fischte sein Gepäck vom Rollband, schritt an den Untersuchungstisch des Zolls und ließ es zu, daß seine beiden Taschen durchwühlt wurden. Daß er zwei«Kulturtaschen»hatte, eine aus Leder und eine mit Blumen, wunderte den Zollbeamten, und soviel der Mann auch zu tun hatte, er hielt sie nacheinander hoch, ratschte schließlich die Blumentasche auf und schickte sich an, das Seifenschächtelchen zu öffnen. Ließ es dann aber doch bleiben.
    Sowtschick durfte alles behalten, nur die Kognakbohnen nahm man ihm weg. Alkohol haben wir in den Staaten genug.
     
    Sowtschick ging mit seinen Taschen auf den Ausgang zu, die Dinger schlugen ihm ziemlich in die Kniekehlen, aber vielleicht war das ja zünftig? An der Paßkabine wurde er gestoppt: Er hatte auf dem Fußboden einen amtlichen Kreidestrich übersehen. Ein bulliger Beamter führte ihn zurück und wieder an den Strich heran, ob er nicht sehen kann? Keine Augen im Kopf? Was meint er, wozu dieser Strich gut ist, er soll sich mal umsehen: Alle Leute bleiben vor diesen Strichen stehen, ja? Kapiert? Der Beamte führte ihn ein paar Schritte abseits und bedeutete ihm, dort stehenzubleiben, verdammt noch mal.
    Von hier aus mußte er nun alle Passagiere an sich vorüberziehen lassen, den Touristenplebs, der hinter ihm gesessen hatte und von Papptellern gegessen. Groß und klein musterten ihn - den Kerl haben wir doch schon mal gesehen? Also doch ein Geldwäscher der Mafia?
    Alexander hielt seinen Jähzorn zurück. Den Botschafter anrufen? Oder sofort umkehren? Nächste Maschine nehmen und nach Deutschland zurückfliegen? Aber er war ja nun mal da, und ewig konnte das hier ja nicht dauern …
     
    Alexander entschied sich für Demut. Ob es statthaft wäre, die Taschen abzusetzen? Oder lieber in der Hand behalten? Bloß nicht noch mehr reizen diese Leute … Er betrachtete die breitgetretenen Kaugummis auf dem Boden, eine Art Sternenzelt, für das man kein Teleskop brauchte, er kriegte kein System in dieses Universum. Und bloßes Zählen führte zu nichts.
    Die dunkle, verwahrloste Halle - überall Gitter und Wachleute. Und da drüben das Tor zur Freiheit, wie ein Muttermund, hell erleuchtet. Die vielen Fremden, die sich da hinein- und hindurchpreßten, würden das große Land befruchten. Erst hineinplatzen ins helle Licht der Neuen Welt und sie dann in vielfältiger Weise befruchten. Kraft abziehen vom guten alten Europa und sie dann einfüllen in die Neue Welt.
    Auch Sowtschick hatte das vor: die Menschheit befruchten, also sie belehren, damit sie eine Ahnung

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