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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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daß die Deutschen unlaublich bescheuert sind! Was der Gesellschaft vom Niederrhein vielleicht sogar gefiel.
    In Schweden war Sowtschick ausgepfiffen worden oder ausgezischt oder doch ausgemurmelt … Weil die Schweden es nicht vergessen konnten, daß sie den Deutschen Erz geliefert hatten im Krieg, Jahr um Jahr, und diese schönen blanken Kugellager, ohne die kein Panzer fahren kann, deshalb war er ausgepfiffen worden.
     
    Gern hätte Alexander gewußt, ob es zutraf, daß Stewardessen sich ins Cockpit schleichen und sich unter dem Meßuhrenhimmel langgliedrig auf den Schoß des Kapitäns setzten, wie es schon ruchbar geworden war. Der dann den Autopiloten einschaltete und sich an den langen Gliedmaßen dieser skandinavischen Musterexemplare ergötzte. Sie vielleicht sogar mal an das Steuerrad lassen, mal hier knipsen, mal dort ein bißchen drehen: Mal sehen, was passiert?
    Das war nun nicht zu beobachten. Hin und wieder verschwand eine der Damen vorn durch die Tür, aber da wurde lediglich Kaffee kredenzt. Es war zu hoffen, daß kein Alkohol im Spiel war.
     
    Als das Gewese der rheinischen Naturen überhandnahm, griff der junge Mann ein. Er rief die Stewardessen herbei, und die beugten sich zu ihm hernieder. Was geschah? Er führte ihnen Zaubertricks vor. Ließ rote und grüne Bälle zwischen den Fingern verschwinden und holte sie aus den Ohren der Stewardessen wieder heraus. Ob sie eine Serviette haben?, fragte er, und dann füllte er Wasser hinein, das dann natürlich nicht drin war, als er die Serviette ausschlug, der bekannte Trick. Das konnten sich die rheinländischen Naturen nicht entgehen lassen, auch sie wollten, daß er ihnen rote und grüne Kugeln aus den Ohren herausholte. Dicht umstanden sie ihn, und auch die beiden Männer der Wirtschaft traten herzu: Das war ja ganz verflixt! - So sehr sie auch dem Zauberer zusahen, sie blickten sich doch auch um nach Sowtschick, warum der sich das entgehen läßt …
    Die Vorstellung fand ein plötzliches Ende. Die Maschine wurde nämlich von außen angestoßen, zunächst nur ein wenig, doch dann stärker, und sie zitterte und bebte. Turbulenzen seien das, sagte der Mann im Cockpit, das habe nichts zu bedeuten. Aber den Passagieren war doch bänglich zumute, ob sie nun vom Niederrhein stammten, Konstrukteure waren oder Schwierigkeiten mit ihrem Bein hatten. Schließlich hatte jedermann diverse Katastrophenfilme in Erinnerung von plötzlichem Druckabfall, von Rauchentwicklung, stürzendem Gepäck und Notlandung in der Antarktis, wo man dann gezwungen war, sich gegenseitig aufzufressen.
    Sowtschick wollte es notieren, daß eine starke Faust das Flugzeug beutelte -«Vorboten?»-, aber das ging nicht, der Bleistift zeichnete unter dem Auf- und Abgespringe, ganz ohne sein Zutun nach Art der Graphiknadeln eines Lügendetektors, fahrige Striche und Kreuze auf das Papier. Einen letzten Brief an Marianne zu schreiben, das wäre nicht gegangen.
    Er sah schon die Maschine schräg auf den Meeresgrund fahren, von den«Liberty»-Menschen an ihrer algenbewachsenen Reling erwartet:« Jetzt kommt ihr erst?»
     
    Allmählich beruhigte sich die Atmosphäre. Es wurde ein Film eingeschaltet,«Vom Winde verweht …», und es wurde still in der Kabine. Und als der Film durch war, führte das zu allgemeinem Geschnarche. Hier nun konnte Sowtschick sich für die niederrheinischen Späße rächen: Er ließ seine Sitzlampe brennen, obwohl er verschiedentlich gefragt wurde, ob das unbedingt nötig ist, daß die brennt.
     
    Auch Sowtschick schlummerte schließlich ein, trotz der abgeklemmten Beine und der Zwangslage, in der sich sein Genick befand. Als er aufwachte, war bereits Land in Sicht gekommen, unwirtliche Gegenden, schneebedeckte Berge, ohne daß dort Häuser, Straßen oder sonstwas zu entdecken gewesen wären. Aber immerhin: Land! Aus dem jetzt sogar Rauch aufstieg. Ein Lagerfeuer, von frierenden Holzfällern entzündet? Die Stewardessen kamen aus ihrem Kabuff heraus, erneuerten ihr Make-up und reckten sich: Kaffee und frische Semmeln wurden serviert.«Is everything okay?»wurde Sowtschick gefragt. - Ja, everything war absolut okay.
     
    Kurz vor Neufundland näherte sich einer der Männer vom Niederrhein und machte Sowtschick auf Eisberge aufmerksam, die unten in der grauen Flut zu sehen waren, winzig klein, aber natürlich ungeheuer groß. An sich ganz interessant und ja auch nett, daß der Mann ihm das zeigte, aber doch auch aufdringlich. Wenn Alexander sie selbst entdeckt hätte,

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