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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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zuprosteten, weil es hier Alkohol kostenlos gab. Saß er mit denen womöglich in einem Topf?
    Die Frau mit dem Lacklederrock hatte die Beine untergeschlagen, was Sowtschick sich genauer ansah: Bei so was muß man sich schließlich vergewissern.
     
    Der Komfort, mit dessen Angebot man ihn in diesem Flugzeug immer wieder aus seiner Pulsschlagruhe riß, während sich unter ihm der Globus drehte, war ganz außerordentlich. In der Touristenklasse, hinter dem Vorhang, würde man dem dortigen Völkergemisch Fertignahrung in Puppenportionen vorsetzen mit Puppenbesteck auf Puppentellern aus Pappe, ein Essen, von dem man zunächst Folie entfernen mußte … Ganz hübsch arrangiert übrigens, unter anderen Umständen in Acryl gegossen einen progressiven Wandschmuck ergebend.
    Texaner saßen dort, die unbedingt Kopenhagen hatten sehen wollen, oder Leute aus Kentucky, nun auf der Rückreise begriffen, oder umgekehrt: abgetakelte deutsche Eltern, auf dem Weg zu ihren Kindeskindern nach Connecticut. Im Krieg ausgebombt, alles wieder aufgebaut und die Kinder dann nach Amerika gegangen, weil sie von Deutschland die Nase voll hatten. Letzte-Gelegenheits-Menschen saßen dort, denen es egal war, ob sie nach New York oder ans Schwarze Meer geflogen wurden, und Mitglieder eines plattdeutschen Vereins, die hinter dem Vorhang ihre Klappstullen auspackten.
     
    Sowtschick stellte sich vor, daß diese Leute Rosenkränze in den Händen hielten und einen Gesang anstimmten, einen leisen Brummchor, leise, leise, fromme Weise, und daß sich unter diesem Summen eine Dornenhecke um sie alle geschlungen hätte. Schlafen bis zum Jüngsten Gericht?
     
    Leider boten die vier Touristen hinter der Wendeltreppe jetzt Döntjes dar wie aus der Bütt und lauter als nötig. Vielleicht dachten sie, es wäre eine Wohltat für die Mitreisenden, daß sie so lustig sind. Mit Ohropax war nichts dagegen zu machen. Es blieb zu hoffen, daß sie nach dem Essen in einen Verdauungsschlaf fielen. Nun kamen sie auf den Gedanken, die Treppe hinauf nach oben zu tigern, als müßten sie einander haschen! Den Restroom wollten sie besichtigen. Schmissen sie sich dort mit Kissen? Stand eine Art Polonaise bevor, an der sich auch Sowtschick hätte beteiligen müssen als«sei kein Frosch»?
     
    Sowtschick legte die zur Ausstattung der ersten Klasse gehörende wollene Decke über sich und schlummerte ein wenig. Aber der Sessel war nicht so bequem wie angenommen. Der Kopf wurde in demütiger Beugestellung gehalten, zwanghaft, als müsse man dem Überflug mit gesenktem Kopf beiwohnen, auf Gnade und Barmherzigkeit. Quälend war das, und Sowtschick dachte: So was allein genügt schon, um arme Seelen in der Hölle mürbe zu machen, Feuer, Pech und Schwefel braucht’s nicht. Und er sehnte sich nach einem ganz normalen Sitz, so von der Art, wie sie in der Touristikklasse standen, und eine Vorrichtung, die es ihm ermöglicht hätte, die Beine hochzulegen. Gern hätte er sie auf dem Nebensitz deponiert, wie der da vorn, aber dann hätte der Mann vielleicht gedacht, man äffte ihn nach.
     
    Die Leute vom Niederrhein wurden lauter und lauter und noch lustiger. Sie standen nun bereits an der Bar und kosteten sich durch das Angebot hindurch. - Kostenlos? Na, hören Sie mal … Eh man sich schlagen läßt?
    Die Frau mit dem Lacklederrock trank übrigens nicht mit, es schien sogar so, als ob sie mäßigend einwirkte auf die Männer. Sie ging öfter mal auf die Toilette und flüsterte mit der Oberstewardeß.
    Vielleicht ist sie schwanger, dachte Sowtschick, obwohl nichts zu sehen war. Verliert irgendwelches Fruchtwasser oder dergleichen? - Wie gut, daß ich es nicht bin, der aus ihrem Leib herausrutscht. - Blutig und schleimig tritt es aus, rutscht auf den Teppichboden des Flugzeugs, und alle knien drum herum, das Wunder zu bestaunen. Und das kleine Wesen hat alles noch vor sich. Alles!
     
    Der junge Mann vorne rechts, der sich jetzt mit einem Taschenmesser einen Apfel schälte, die Schale hübsch ringelnd und im Ganzen, fühlte sich wahrscheinlich ebenfalls gestört, aber ein solidarisches Auftreten mit Sowtschick war nicht zu erwarten. Auch die Stewardessen würden nicht verstehen, daß seriöse Reisende etwas gegen fröhliche Trinkgelage hatten. Die fanden es lustig, wie die Leute sich da Witze erzählten, die stellten sich sogar dazu! So wie es die beiden Männer der Wirtschaft eben jetzt auch taten, die mitlachten und schwedische Geschichten zum besten gaben, wahrscheinlich des Inhalts,

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