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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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vermutlich gerade eben gekauft. Schon morgen würde das nicht mehr so proper aussehen.
     
    Alle diese Menschen bestimmen, wo’s langgeht, dachte Alexander. Wo geht’s lang? Das fragte er sich, und er dachte an das Bild von dem Schafbock, das in seiner Bibliothek hing.
    Er hielt sich immer hübsch in der Mitte des Gehsteigs, schön vorsichtig, damit er nicht einem Brieftaschendieb in die Hände fiele oder einem Pufftotschläger; möglichst weit weg von Hauseingängen hielt er sich, aus denen Unheil auf ihn hätte zustürzen können. Desgleichen vom Fahrdamm: Er hatte von Handtaschenräubern gehört, die vom Motorroller aus mit dem Messer zustechen, wenn man nicht schnell genug reagiert.
    Die Geschäfte waren noch offen, und niemand machte zu dieser Stunde Anstalten, die Rolläden herunterzulassen.
    Der Regen verstärkte sich. Alexander überlegte, ob er seinen Taschenschirm aus dem Schlitz der Mehrzweckjacke ziehen und aufspannen soll oder nicht. Wohin mit der Hülle, das war die Frage, und dann kriegt man das Dings womöglich nicht wieder zusammen? Und dann das zersplissene Ding vor sich hertragen wie eine Wünschelrute?
     
    Er musterte die Menschen, die ihm entgegenfluteten. Alle möglichen Physiognomien fielen ihm auf, sogenannte Neger, auch ostische Typen. Sehr viel Europäisches war auszumachen. Sind das alles Deutsche?, dachte er, und in der Tat, es waren Menschen, die einem auch in Eppendorf hätten begegnen können. Wenn wir drüben unser Erscheinen einstellen, machen die hier weiter …, dachte er, und er dachte an einen Stehgeiger, der einen Wiener Walzer fiedelte, und an die Boote auf der Binnenalster, mit schräg liegenden Segeln … Tränen traten ihm in die Augen. An die«Grotte»mußte er denken, wo er mit Hessenberg und Leuten, die ihn allesamt gut kannten, so manches Mal getafelt hatte. Am Tage der Rückkehr mit Marianne sofort in die«Grotte»gehen …
    Eine ältere Frau fiel ihm auf, die, eine Zigarette im Mund, vor einem kleinen Restaurant leere Flaschenkisten aufeinanderstapelte. Es war eine Dame, jedenfalls sah sie so aus, und sie war in einem Alter, in dem deutsche Frauen auf keinen Fall mehr Kisten aufgestapelt hätten. Einen Augenblick dachte Alexander: Wenn das meine Mutter wäre! Nicht an Krebs gestorben, sondern auf wundersame Weise wieder auferstanden? Disloziert? Lebte hier schon seit Jahren, und er weiß von nichts?«Alex - an - der?»
     
    Er setzte sich in eine Bratküche und bestellte einen Hamburger mit Mayonnaise. Der Mann an der Theke sagte: Aha, aus Germany! und erzählte, daß er öfter mal den Job wechselt, dann macht das Leben mehr Spaß. So ist das hier in Amerika, man wechselt öfter mal den Job. Und in Europa war er auch schon gewesen, nach dem Krieg. Heilbronn.
    In Heilbronn hatte Sowtschick mal nachts vor dem verschlossenen Hotel gestanden. Es war zwar nicht vergittert gewesen, und auch kein Kreidestrich hatte ihm den Zugang verwehrt, aber die sehr solide Tür war verschlossen gewesen. Und dann hatte er am Neckar auf und ab gehen müssen, die halbe Nacht, bis ihm eingefallen war, daß er sich ja in den Wartesaal des Bahnhofs setzen konnte. - Aber das war keine Sache, die man dem Mann in dieser Bratküche hätte erzählen können. Es standen Vokabeln dazwischen, die man nicht gelernt hatte.
    Vielleicht ist das ja ein Kriegsveteran gewesen?, dachte Sowtschick, vielleicht ein Bomberpilot? Denken Sie heute noch daran, daß Sie damals Bombenteppiche auf diese schöne Stadt herabgelassen haben?
     
    Der Hamburger schmeckte ausgezeichnet, so etwas gab es in Sassenholz nicht, Mariannes Frikadellen waren damit jedenfalls nicht zu vergleichen, und er bestellte gleich noch einen, und er ließ sich auch von der Mayonnaise eine doppelte Portion geben. Daß er aus Hamburg kommt, sagte er, und daß er hier jetzt einen Hamburger ißt. Aber das verstand der Mann nicht.
    «Ist das nicht ulkig?»
     
    Ehe er ins Hotel zurückkehrte, inspizierte er noch eine Buchhandlung, gleich um die Ecke, ein Antiquariat.«Guten Tag!», sagte er zu dem alten Mann hinterm Tresen, grüßte ihn also auf deutsch, weil er sich hier wie zu Hause fühlte. Antiquariate haben etwas von Heimat an sich.
    In diesem Laden gab es eine Ecke mit deutschen Büchern, der Händler war ganz gemütlich. Nein, Memoiren von Bomberpiloten hatte er nicht … er lächelte sibyllinisch, als Alexander danach fragte, und stellte ihm Fritz Reuters gesammelte Werke auf den Tresen. - Fritz Reuter kaufte Alexander nicht, den konnte

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