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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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als Milchsuppe. Schiffbrüchige auf einem Medusa-Floß, tief unten auf der See, würden das Flugzeug zwar hören, aber nicht sehen. Und wenn man die Ertrinkenden von hier oben ausmachte, was ganz ausgeschlossen war, aus dreißigtausend Fuß Höhe …, dann würde man ihnen nicht zu Hilfe kommen können. Wehmütig winken, das wäre das einzige, was man für die Leute tun könnte. Für gekenterte Einhandsegler zum Beispiel oder diese verrückten Leute, die es mit dem Tretboot schaffen wollten über den großen Teich hinüber.
    Dem Flugzeug selbst, in dem Sowtschick jetzt nach New York flog, würde im Notfall ja auch niemand zu Hilfe kommen. Ein Satellit in Weltraumentfernung würde die Flammen zwar bemerken, die aus dem Aggregat schlügen, und seine Meßinstrumente wären absolut imstande, die Entfernung exakt anzugeben, die diese Maschine noch vom Aufschlag trennt: Eine Viertelstunde konnte so was dauern … Es hatte schon Menschen gegeben, die, in den Tod rasend, ihrer Frau noch einen letzten Brief schrieben … Aber zu Hilfe eilen würde man erst später, wenn alles aus war und vorbei.
    «Die Suche wurde eingestellt.»
    Die Trümmer der Maschine sinken tief und immer tiefer, und die Leiber, zerfetzt vom Aufprall - sie würden gar nicht auf dem Grund des Meeres ankommen, es gab genug Meeresgetier, für die sie ein Leckerbissen wären. Nicht einmal die Gebeine würde ein Tauchboot in einer solchen Tiefe noch auffinden. Im Lichtkegel erschiene allenfalls eine in die Höhe gerichtete Tragfläche. Eine Bergung der Leiber mit nachfolgender Beerdigung wäre gänzlich ausgeschlossen. Zu Hause symbolisch zehn Liter Meerwasser aufs Grab gießen?
    Eine in die Höhe gerichtete Tragfläche - vielleicht zwischen zwei«Liberty»-Dampfern, die ein deutsches U-Boot vor langer Zeit auf den Grund des Meeres geschickt hatte? Auch von den Matrosen damals wäre kein Gebein aufzufinden gewesen.
    «Wo kommt ihr denn her?»
     
    Während Alexander von Europa aus in die Neue Welt gerissen wurde, über die vom Wasser nivellierten Abgründe des Meeresbodens und die unterseeischen Gebirge hinweg, ganz ohne Bugwelle und Heckgeschäume, bog er wiederum die Finger ein und vergewisserte sich der Anzahl der Bücher, die er geschrieben hatte, wie er es immer gern tat, wenn er nichts weiter zu tun wußte. Er wollte wissen, ob er zusammenkriegte, was er der Welt geschenkt hatte - Gelegenheitssachen ließ er fort. Ja, er kriegte sie zusammen. Höchste Zeit war es aufzuhören. Und da war eigentlich auch kaum noch etwas, das ihn zur Gestaltung reizte. Gelegentlich stiegen Bilder auf, die sich zu Gehirnvideos neu formierten, aber bei denen handelte es sich nur um Reflexe, Varianten schon längst in seinen Romanen verwendeter Vorgänge, Vergewisserungen bereits erledigter Sachen, deren magische Energien in sich zusammengefallen waren, da pulste nichts mehr, da waren keine geheimen Muster sichtbar, die es freizulegen gälte … Da spulte sich höchstens noch was ab, weil’s nun einmal da war, ob man hinsah oder nicht.
    «Karneval über Lethe», das war eine letzte Aussage, die er noch machen wollte, als Schlußstein seiner«Produktion»bestens geeignet. Die Darstellung eines Tanzes auf dem Vulkan, wie der
    Lektor gesagt hatte. Auch Alexander war, wie Marianne und ihre Freundin Edith, der Ansicht, daß es nicht immer so weitergehen könnte. Die Frage war, ob man tatsächlich weitertanzen sollte.
     
    Die Einladung nach Amerika war zur rechten Zeit gekommen, zu Hause hätte Alexander doch nur herumgesessen, auf das Mittagessen gewartet und Schach gegen sich selbst gespielt. Das große, alles bündelnde Werk, vor Jahren begonnen und von der Presseabteilung des Verlages immer wieder angekündigt, ein Triptychon, in dem sich das gesamte Werk spiegelte, würde er wohl nicht mehr liefern, das war ihm längst zur Gewißheit geworden, trotz deftiger Vorschüsse: Lieber Meister, das kann doch noch nicht alles gewesen sein? Der Erste-Klasse-Flug hatte gewiß damit zu tun. Mit dem wollte ihm Hessenberg glühende Kohlen aufs Haupt streuen.
     
    Nun also erste Klasse. Es war die Frage, ob die Stewardessen von seinem legalen Sonderstatus wußten.«Upgegradet»? Nicht aus Gnade und Barmherzigkeit upgegradet, aus Überbuchungsgründen, wie die Glückspilze aus der Touristikklasse, sondern ganz legal. Vielleicht meinten die Beamtinnen, er müsse ihnen dankbar sein? So wie diese vier Deutschen hinter der Wendeltreppe, die entschieden zu laut lachten und sich wieder und wieder

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