Letzte Gruesse

Armbanduhr.
     
    Alexander wurde vorgestellt, er sei ein deutscher Schriftsteller … Schriftsteller? Das sagte den Leuten nichts, man nickte ein wenig und schwieg. Vor Jahren war hier mal einer gewesen mit einem Tonbandgerät und hatte alles mögliche aufgenommen, nie wieder was von dem gehört. -«Wie gut, daß ich hier keine Lesung halten muß», dachte er. Denkbar wäre es gewesen, daß ein Mann wie der Häuptling in der Normandie deutsche Gefangene mit spezieller Fesselung dazu gebracht hatte, sich selbst zu erdrosseln.
     
    Bei dem Palaver ging es zunächst um Rückführung eines toten Indianers, der in der Stadt auf der Staße liegend totgefahren worden war. Mit leiser Stimme wurde verhandelt, ob der Sarg von der Regierung bezahlt wird oder nicht.
    Ein Hund kam herein, sah einmal in die Runde und setzte sich unter Sowtschicks Stuhl: Das war für ihn der sicherste Platz in dieser Baracke, das hatte er sofort mitgekriegt.
     
    Da saßen sie nun, die Rothäute, Männer, die Napoleon hießen, kräftige athletische Burschen, und sie schwiegen oder redeten mit leiser Stimme.
    Der Regierungsbeamte schwieg auch eine Weile.
    Dann hatte er ihnen eine freudige Mitteilung zu machen. Sie bekämen von der Regierung einen Truck zur gemeinsamen Nutzung. Die Leute nahmen das stumm zur Kenntnis: endlich ein fahrbarer Untersatz im Dorf, mit dem man in die Stadt fahren kann und dort sich vollaufen lassen? Es war ihnen bisher noch immer gelungen, in die Stadt zu kommen, irgendwie … Aber ein dorfeigener Truck, das war schon eine andere Sache.
    Der Haken war nur, daß niemand einen Führerschein besaß. Der einzige Mann, der hierfür in Frage gekommen wäre, hatte seinen«Lappen»vor einigen Monaten abgeben müssen, weil er in der Stadt einen gestohlenen Wagen in dutt gefahren hatte. Hinten in der Ecke saß er und guckte in die Gegend.
     
    Man fragte sich, ob man es vielleicht noch ein letztes Mal mit ihm versuchen sollte. Wenn er verspricht, sich nie wieder betrunken ans Steuer zu setzen, dann könnte man ihm den Truck anvertrauen. Und als alle zugestimmt hatten und sich wohl schon freuten über den nagelneuen Truck, den sie demnächst gestellt bekämen, fragte der Führerscheinmann: Worum geht es eigentlich? Und da mußte man ihm alles noch einmal erklären.
    Das zog sich lange hin, und Sowtschick verstand nur Bruchstücke. Dauernd ging die Tür auf und zu, und Leute gingen hinaus und kamen wieder herein. Kinder spielten Krieg oder was. Alles sehr sonderbar.
    Nach vier Stunden war das Palaver beendet.
     
    Um noch einen Eindruck mitzunehmen, einen bleibenden Menscheneindruck, vielleicht den zufälligen Anblick einer jungen Indianerfrau mit Kind auf dem Arm, ging Alexander ein paar Schritte durch das Dorf.
    Warum nicht ein Stück in den«Wald»wagen? Immer in Sichtweite des Dorfs? Was konnte schon passieren?
    Er strich durch das dürre Unterholz, die dünnen Stämme der Pappeln und Birken. Auf dem Boden lagen Zivilisationsspuren, kaputte Schüsseln, Autoreifen und Kothaufen, zum Teil von alters her. Er schob das Unterholz beiseite, und da war es auch schon geschehen. Nachdem er sein Wasser abgeschlagen hatte und umkehren wollte, fand er nicht wieder heraus!
     
    Alexander lächelte: Das muß mir passieren! Aber er sagte auch: Nur ruhig Blut! Bleib, wo du bist, und rühr dich nicht … In der Ferne brummte der Flugzeugmotor auf, aber aus welcher Ferne? Woher? Auch das Bellen der Dorfköter war zu hören. Aber wie sehr er auch seine Ohren aufrichtete - es war nicht mitzukriegen, aus welcher Richtung das kam. Es wäre ihm lächerlich vorgekommen, auf einen Baum zu klettern und von dort Ausschau zu halten. Das wäre auch gar nicht gegangen, weil der Stamm sich zur Erde gebogen hätte.
    «Soll ich denn um Hilfe rufen?»
    Er verhielt sich still und rührte sich nicht vom Fleck. Sammelten sich denn schon Geier am Himmel?
     
    Er hörte, daß man nach ihm rief, und er antwortete schüchtern. Nach einiger Zeit knackte es im Gebüsch, und zwei Halbwüchsige erschienen, ziemlich verwegene Burschen. Nun werden sie dich abschlachten, dachte Sowtschick. Aber die jungen Männer lächelten nur, winkten und holten ihn heraus aus seiner Verirrung. Sie führten ihn in eine ganz andere Richtung, als er gedacht hatte, ständig wollte er«gegenhalten». Und es dauerte wesentlich länger, als erwartet.
    Nie im Leben hätte er in dieser Richtung den Ausweg gesucht. Nie! Wenn ihn die beiden nicht gefunden hätten, wäre er bis zum Mittelpunkt der Erde