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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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zurechtsetzend.
    «Have you a publisher?»wurde er sogleich gefragt.
    O ja, er hatte einen Publisher, alle seine Romane hatten bisher einen Publisher gefunden, man reiße ihm die Sachen aus der Hand. Dieser Ausflug zu den Indianern zum Beispiel diene ihm als Recherche für ein Buch, keinen Roman oder was, dafür gebe das nichts her, mehr eine Untersuchung theoretischer Natur:«Highways»laute der Arbeitstitel. Über die Art und Weise, wie Menschen mit Minderheiten umgehen, nicht zuletzt auch im Hinblick auf die Brutalität der Nazis. (Der Gedanke, etwas Derartiges zu schreiben, kam ihm erst in diesem Augenblick …) Er beschäftige sich also im Grunde genommen mit derselben Sache wie sie. - Elytias hieß die junge Frau, Sophie Elytias, und es brauchte seine Zeit, bis Alexander den Namen mit hinters Ohr gelegter Hand verstand. Aus Zypern stammte sie.
     
    Still sahen sie auf den tosenden Fluß hinunter, so tosend, als hätte man eine Talsperre geöffnet. So mancher Sportler hatte versucht, ihn mit einem Boot zu befahren, von Ost nach West, und von denen habe man dann nie wieder was gehört. Hundertmal gewarnt, aber unbelehrbar.
    Sie redeten über die Indianer, wie schlecht es ihnen geht, Kultur, Sitten, Brauchtum und so weiter - alles im Eimer. Tbc! Und lebten wie eingesperrt in dem Reservat, kämen kaum mal in die Stadt, Autos hätten sie nicht, und einen Platz im Flugzeug könnten sie natürlich nicht bezahlen. Kein Wunder, daß sie zur Flasche griffen.
     
    Auf die Frage, ob es nicht gefährlich sei für sie als junge Frau, so allein in einer Indianersiedlung zu leben, wurde gesagt: Wieso? Und es folgte eine längere Belehrung, daß die Indianer ganz normale Menschen seien. Harmlos im Grunde, nur im Suff gewalttätig. Dann allerdings seien die Frauen arm dran, würden von ihren Männern geschlagen.
    Nein, in nüchternem Zustand seien die Indianer harmlos. Mitten in New York könne es viel gefährlicher sein, dort sei sie trotz verriegelter Tür mal von einem Nachbarn überfallen worden - hier draußen passiere ihr nichts … In New York sei man seines Lebens nicht sicher. Und ihre Eltern seien in Zypern umgekommen, als die Türken da einmarschierten, kurzen Prozeß gemacht. Aus!
    Daß er Deutscher sei, löste Befremden aus. Deutscher? Während sie sich mit den Fingernägeln einzelne kleine Pickel an der Wange aufzwickte und das Blut betrachtete, das an ihren Fingerspitzen haftete, hielt sie Sowtschick ein Kurzreferat über die Ermordung der Juden.
    Daß die Deutschen ein Volk von Verbrechern seien, sagte sie und blickte unversehens Sowtschick an. Daß dieser Mann eine goldene Brille trug, machte sie stutzig. So schlimm konnte es doch wohl nicht sein mit diesem Volk. Ein einzelner älterer Herr mit goldener Brille und voll Wissensdurst, wie konnte der ein Verbrecher sein?
    Aber so war es eben: Sie tragen goldene Brillen und schießen mit Maschinenpistolen um sich, das war ja überall zu lesen.
    Sein Name war ihr unverständlich, und sie versuchte vergeblich ihn auszusprechen.«Sautscheik?»
    Die Indianer hießen Napoleon oder auch George Toogood und Mary roll in the mood. Man habe ihnen die Namen administrativ verpaßt. Namen also, die, weil sie sie zwangsläufig trugen, eben nicht lustig seien, obwohl man darüber lachen kann. Mike Frencheater - also, so was geht doch eigentlich nicht. Mary born with a tooth.
     
    Auf indianisch mochten die Leute hier früher ähnlich geheißen haben, das war anzunehmen.
    Aber wer wußte das heute noch?
     
    Sowtschick dachte: Wie gut, daß ich Alexander heiße und nicht Adolf … Und dann kam der Professor, der schon nach ihm Ausschau gehalten hatte, und dem wurde dasselbe noch einmal erzählt. Daß die Studentin Sophie Elytias heiße («Aha!») und daß die Indianer lustige Namen trügen, aber nichts dafürkönnten, was ihm bekannt war.
    Der Reservatsbeamte hatte eine Besprechung mit dem Häuptling und seinen Männern, und Sowtschick wurde eingeladen, an dem Palaver teilzunehmen.
    In einer Baracke hatten sich die Männer des Stammes versammelt, teils wie Eskimos aussehend, teils wie braungebrannte Europäer. Einer mit roter Mütze, ein anderer mit Silberknauf am Handstock.
    Auch ein paar Frauen waren gekommen, meist unförmig und ziemlich abenteuerlich.
    Man saß auf herbeigetragenen Stühlen. In der Mitte nahm auf einem abmontierten Autositz der Häuptling Platz, ein Mann ohne Vorderzähne, mit langen schwarzen Haaren, in Gummigaloschen. Am Handgelenk trug er eine übergroße

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