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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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ausgestreckt lag: Sie muß die Gäste zählen, das wär ihr Job, das wär nun mal nicht zu ändern.
     
    Als es an der Zeit war, ging Alexander hinunter in den Frühstücksraum und bestellte«Dry toast with butter», was man immer ausdrücklich verlangen mußte, um keine mit flüssiger Butter bepinselten Weißbrotscheiben zu bekommen, das hatte Dr. Neubert ihm geraten.
    Er aß seinen dry toast und trank den amerikanischen Plürrkaffee und sah sich die verschiedenen Leute an, die durch die Halle liefen.
    In einem der Hotelrestaurants hielt die Universität Rochester Sprechstunden ab. Beamtinnen saßen an quer gestellten Schreibtischen, und ländliche Mütter waren zu beobachten, die ihnen ihre unvorteilhaften Kinder zuschoben. Sie wurden getestet und für ihr Leben beraten von Menschen, die es selbst nicht weiter gebracht hatten als zum Lebensberater. Angeblödet kamen sie wieder heraus, an der Hand aufseufzender Mütter.
     
    Alexander schrieb eine Ansichtskarte an den Lektor in München, der jetzt bestimmt sein Romanfragment von links nach rechts schob. Auf der Karte war ein bronzenes Reiterstandbild abgebildet - dem Pferd lief Grünspansauce unter dem Bauch zusammen, und auf dem Kopf des Reiters saß eine Taube. Sowtschick schrieb über die Lineatur der Karte hinweg, was dem Lektor, der ein ordentlicher Mann war, sicher nicht gefallen würde … Dann ging er zur Rezeption und bat das uniformierte Mädchen, das dort Dienst tat, reich dekoriert mit goldenen Schulterstücken und Tressen aller Art, um einen Briefumschlag. Aber sie verstand kein Deutsch, und Sowtschick wußte nicht, wie«Briefumschlag»auf englisch heißt. Er zeigte ihr die Postkarte, daß er über die Linien geschrieben hat und daß dazu nun ein Umschlag nötig sei … Wie hieß«Umschlag»auf englisch? Er schrieb mit dem Finger was auf den Tresen,«kniffte»das und sah das Mädchen fragend an. Und sie sah fragend zurück. Also noch einmal pantomimisch tätig werden und das Wort«letter»mehrmals laut und deutlich aussprechen. Aber das Mädchen begriff es nicht, sie sah auf die Uhr, wie spät es ist, sah die Postkarte auf dem Tisch liegen, aber daß dazu ein Umschlag nötig sei, weil Sowtschick über die Linien geschrieben hatte, kam ihr nicht in den Sinn. Sie mochte den fremdartigen Gast, der da vor ihr stand, für einen mimisch begabten Idioten halten, einen von denen, die jetzt als Freigelassene durch die Stadt liefen, lachte schließlich sogar, weil sie dachte, Alexander wolle Witze machen, wie das ältere Herren gern mit jungen Damen tun. - Nein, er wollte keine Witze machen, er wollte eine Ansichtskarte an seinen Lektor in München schicken, damit der weiß, wo er sich herumtreibt. Und zwar in einem Briefumschlag.
    Er sei nämlich Schriftsteller, sein Name sei Alexander Sowtschick, Zimmer 412, und er komme aus Western Germany … Der Portier in der Ferne hatte das beobachtet und schmiß dem Mädchen Briefumschläge hin und fragte, ob sie vielleicht völlig bekloppt ist. Das sei doch arschklar, daß dieser Gentleman einen Briefumschlag haben will! Daß Alexander ein Schriftsteller sei, interessierte ihn allerdings weiter nicht.
     
    Alexander zog seine Mehrzweckjacke an, setzte die Prinz-Heinrich-Mütze auf und verließ das Hotel.
    Er schlenderte an dem großen bronzenen Reiterstandbild vorüber und begab sich in neuere und ältere Einkaufsgegenden. Bunte Farmerhemden, wie Dornhagen sie bestellt hatte, gab es überall, aber nicht für drei, vier Dollar! Die waren unter zehn Dollar nicht zu haben, und sie waren auch nicht aus rustikalem Flanell, sondern aus Kunstfaserstoff gemacht.
    Er fragte sich, ob er hier tatsächlich Hemden kaufen soll und die über den ganzen Kontinent hin und zurück mitschleppen … Bei aller Freundschaft, das war zuviel verlangt.
    Einfach sagen: Die sind mir gestohlen worden?
     
    Viel Andenkenkram lag in den Läden aus: das bronzene Reiterstandbild aus Gips in allen Größen, auf Tassen gemalt und auf Tücher gedruckt und als snowball … In einem Schaufenster standen hübsch bemalte Zinnfiguren. Ein vollständiger Zirkusaufzug: Wagen, Ponys, Kamele, Clowns, zwanziger Jahre! Nicht diese flachen Dinger, sondern rundplastische! Originalverpackt! Ein Spaßmacher war dabei, der hatte überlange Beine, so einer mit Stelzen in den Hosen, einer speziellen Form von Siebenmeilenstiefeln. Er trug gelbe Hosen und lüftete seine blaue Melone. Der gefiel Alexander ganz besonders. Er kaufte das alles für wenig Geld. Das würde er

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