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Letzte Gruesse

Titel: Letzte Gruesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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nicht verschenken, das würde er auf den Schreibtisch stellen zu den Wiener Bronzen.
     
    Als er nach einem Fußmarsch von zwei Stunden das Hotel wieder ansteuerte, sah er auf dem Hotelvorplatz unter dem Reiterstandbild junge Leute sitzen, stehen und liegen. Unter ihnen ein etwas heruntergekommenes Mädchen, das seine Aufmerksamkeit erregte. Wodurch?
    Er ging ins Hotel hinein, drehte eine Runde in der Halle und strebte wieder hinaus. Der Gedanke, daß ein Mensch wie Klößchen sich unter den Typen da draußen befände, machte ihn traurig. Er sah sich die Leutchen genauer an, die sich ihrerseits über seine Mütze wunderten. Auch das Mädchen guckte zu ihm rüber. An ihr war nichts Besonderes dran. Vielleicht war es bemerkenswert, daß sie ihn anguckte.
     
    In der Halle nahm er wieder seinen Platz ein, beobachtete die Herren von«Honeywell»mit ihrem Witzemacher, die gerade ihr Gepäck einsammelten.
    Auch die letzten ratlosen Jugendlichen, die sich hier zur Berufsberatung eingefunden hatten, verließen das Hotel. Allmählich kehrten wieder normale Verhältnisse ein.
    Alexander schrieb in sein Tagebuch, daß Briefumschlag«envelope»heißt und was das für ein verrückter Ausdruck ist. Keinerlei Entsprechung im Deutschen! Wie soll man auf ein solches Wort kommen? - Über seine Brille hinweg sah er dann das Mädchen hereinkommen. Und es sah zu ihm herüber, was er da macht, sitzt da und schreibt. Ein Kellner stoppte sie, was sie will, ein Glas Wasser will sie, sie hat Durst. Das ließ sich machen, es gab einen Paragraphen, daß man in Restaurants Menschen, die Durst haben, ein Glas Wasser geben muß … Der Kellner gab ihr also ein Glas Wasser. Warum soll man einem jungen Menschenkind, auch wenn es von der Straße hereinschneit, nicht ein Glas Wasser geben, wenn es höflich darum bittet?
    Während des Trinkens sah sie nicht zu Alexander herüber, machte sich dann aber los und trat entschlossen auf ihn zu. Was wollte sie? Geld? War sie hungrig?
    Alexander fragte sich: Was ist los? Was kann ich tun?
    Da machte sie eine leichtsinnige, fast verächtliche Handbewegung...
    Was hat sie?, dachte Alexander.
    Ach, Sowtschick, dabei ist doch alles so einfach, begreifst du das denn nicht, Alexander? Es ist vorbei!
    Als er wieder zu sich kam, war es bereits zu spät, da war sie schon längst gegangen.
     
    Zu Mittag kam ein deutsches Ehepaar, das ihm Gesellschaft leisten wollte. Die Frau war mit allerlei Gold behängt, was sie nicht hinderte, klirrend mit dem Finger im Ohr zu rühren.
    Er erzählte den beiden, daß er sich die Panzer angeguckt hätte in Shepperdy, das heißt, daß er sie sich nicht angeguckt hätte … Da krempelte der Herr seinen Ärmel auf und zeigte eine große Narbe.«Explosivgeschoß!»Ob er wisse, was das ist? Dringt ins Fleisch ein und explodiert. Unheimliche Sauerei! Aber die Frau mischte sich ein, die wollte von all dem nichts mehr seh’n und hören, sie lebten jetzt am Rande der Stadt mit Pool und allem Drum und Dran. Wie sehe es denn in Deutschland aus?
    Was die Deutschen nur für Menschen sind!, sagte sie. Achten die Gastarbeiter nicht! Sind gegen alles Fremde! Da fiel es Alexander ein, das Gespräch auf einen Rassenzwischenfall zu lenken, der sich in dieser Stadt vor kurzem ereignet hatte: Schwarze waren durch die Straßen gejagt worden. Da war dann das Gespräch rasch beendet.
    Am späten Nachmittag holte Dr. Neubert ihn zu der Lesung ab. Ob er auch eine Fischsuppe gegessen habe, wurde er streng gefragt, so wie er als Kind gefragt wurde:«Hast du schon deine Schularbeiten gemacht?»
    Alexander erkundigte sich, ob er wisse, woher sich der sonderbare Ausdruck«envelope»herleite?
    Nein, das wußte er nicht, aber das deutsche«Umschlag»sei schließlich auch ein sehr eigenartiges Wort.
     
    Neubert geleitete seinen kostbaren Autor an der lagernden Jugend vorüber durch allerhand typische Straßen und zeigte ihm all das, was Sowtschick am Vormittag schon gesehen hatte. Seine übergroße Baskenmütze und Alexanders Prinz-Heinrich-Deckel nahmen sich hier, nebeneinander, recht sonderbar aus.
    Im Institut ging es bereits festlich zu, das Licht schien bis auf die Straße, und in dem mit Goldleisten verzierten Vortragsraum schlug Sowtschick freundliches Gequassel entgegen. Zu Alexanders Freude wurde auch geblitzt, es war also Presse gekommen. Dies freute ihn besonders für Dr. Neubert. Das würde dem Mann Auftrieb geben, das würde er in die Zentrale melden können, und außerdem würde es dazu führen, daß

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