Letzte Haut - Roman
ihnen als Sitz reichen musste.
„Unerträglich, wie solch verdienstvolle Persönlichkeiten der Waffen SS hier behandelt werden“, platzte es aus Gruppenführer Schmitt Klevenow heraus, der sich prompt eine Ermahnung durch Chefrichter Ende einhandelte: „Noch so eine Äußerung, und Sie werden des Saales verwiesen!“
„Ich werde was?“
„Des Saales verwiesen! Ich dulde hier keine persönlichen Kommentare von Prozessbeobachtern“, sagte Ende und sah befriedigt die Wirkung seiner Worte. Die Prominenz war in die Schranken verwiesen, erstaunt und verunsichert blieben die Herren fast stumm und geradezu bewegungslos. Schmitt Klevenows Augen funkelten zwar, aber auch er blieb still. Ende verbiss sich ein Lächeln und schlug mit dem Hammer noch einmal auf den Stoff, weil er das Geräusch so mochte, ehe er sagte, er wolle Ruhe, unbedingte Ruhe, obwohl es bis auf das Geflüster der Kochs absolut still im Saal war.
„Die Verhandlung ist auf zwei Tage angesetzt“, sagte er: „Gerichtsdiener, schließen Sie die Fenster! Ziehen Sie die Vorhänge vor! Verschließen Sie die Türen und postieren Sie vor den Türen Wachen! Es darf bis zur Pause niemand herein und niemand hinaus! – Staatsanwalt, verlesen Sie nun die Anklageschrift!“
SS Chefrichter Breithaupt, der neben dem Obergruppenführer Waldeck Pymont saß und von diesem vorgeschickt wurde, erhob sich, rückte die Uniform zurecht, räusperte sich, sah noch einmal zum Erbprinzen, der ihm aufmunternd und siegesgewiss zunickte, ehe er alle achtunddreißig getrennt aufgeführten Anklagepunkte vorlas, die alle auf Schmelz’ Ermittlungen beruhten.
Es war von Mord die Rede, von Unterschlagung, von Vergewaltigung, von Misshandlung, von Anstiftung zum Mord, von Dienstvergehen diverser Arten und von anderen kriminellen Handlungen, die bis hin zum Landesverrat reichten.
Tarnat beugte sich während der Verlesung zu Liebig hinüber und flüsterte: „Alles wasserdicht! Alles sturmerprobt! Mach dir keine Birne! Alles absolut sicher!“
Liebig nickte, und nach so langer Zeit musste er sich plötzlich wieder die linke Schläfe mit den Fingern massieren! Ausgerechnet jetzt musste die Migräne auftauchen, es war doch zum Heulen!
„In ein paar Stunden sind wir gemachte Männer!“, sagte Doktor Tarnat, beunruhigt, dass Liebig so gar nicht reagierte. Er stieß ihn unauffällig mit dem Ellenbogen an, woraufhin dieser aber nur ein mürrisches ‚Jaja‘ von sich hören ließ.
„Du hast doch nicht etwa Migräne?“
„Doch!“
„Ach, du Scheiße!“
„Was ist?“, flüsterte Schmelz und sah zur Seite.
„Liebig hat Migräne!“
„Scheiße!“, sagte der Ermittlungsrichter.
„Geht schon!“, meinte der Kriminalsekretär.
„Muss!“, sagte Schmelz.
„Ruhe auf der Zeugenbank, sonst verhänge ich ein Ordnungsgeld!“, rief Chefrichter Ende, und erneut ließ er lustvoll den Hammer auf den Samt knallen: „Weiter, Chefrichter Breithaupt!“
„Soweit die Anklageschrift“, antwortete dieser, und Ende nickte, öffnete eine der Akten und sagte: „Karl Otto Koch! Die Anklage hält Sie für schuldig, Reichsgelder im Umfang von mindestens zweihunderttausend Reichsmark der Reichskasse entwendet zu haben, während sich das Reich im Kriegszustand befand. Allein dieses Verhalten ist als ernsthafte Gefahr für die Reichssicherheit einzustufen und kann wegen Hochverrats mit der Todesstrafe geahndet werden. Die Anklage wirft Ihnen vor, dass Ihnen das Geschick Ihres Landes völlig gleichgültig ist. Was sagen Sie dazu?“
Karl Koch behielt den Blick unten, während sein Verteidiger SS Richter Piepenbrock antwortete: „Mein Mandant plädiert auf nicht schuldig. Die Vorwürfe sind haltlos, aus der Luft gegriffen und absurd. Sie sind von nichtsnutzigen Verdrehern an den Haaren herbeigezogen! Wir werden beweisen, dass hier eine schlimme Verleumdung übelster Sorte stattfand und stattfindet.“
„Bravo! Sehr gut!“, rief Gruppenführer Schmitt Klevenow aus der ersten Reihe dazwischen und fing sich einen bösen Blick des vorstehenden Richters ein.
„Gut“, fuhr Chefrichter Ende fort: „Karl Otto Koch! Sie sind des dreifachen Mordes angeklagt. Während Ihrer Dienstzeit sollen Sie im Jahre einundvierzig in Buchenwald den Mord an den Männern Krämer und Peix befohlen haben. Zweiundvierzig sollen Sie in Lublin selbst einen Häftling umgelegt haben, wofür es Zeugen gibt. Später sollen Sie angeordnet haben, weitere Männer zu ermorden, darunter den SS Hauptscharführer Köhler!
Weitere Kostenlose Bücher