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Letzte Haut - Roman

Letzte Haut - Roman

Titel: Letzte Haut - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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Sie wäre das alles nicht zustande gekommen. Ohne Sie wäre nichts, aber auch gar nichts passiert! Im Sande wäre mal wieder alles verlaufen, aber Sie haben den Anfeindungen und den Verführungen unserer Gegner widerstanden, und dafür danke ich Ihnen. Ich bin so stolz auf Sie, wie es nur ein Vater sein kann! Auf seine heldenhaften Söhne! Nichts ist im Sande verlaufen, weil Sie ein Fundament mit Beton gegossen haben, ehe sie das Fass angestochen haben. Diese elende Büchse der Pandora, nichts vom Entweichenden kann in den Boden dringen!“
    Und nun, es war nicht zu stoppen, nun brachen bei Kurt Schmelz doch sämtliche Dämme. So plötzlich, dass ihm schwindlig wurde und er sich auf den Stuhl fallenlassen musste. Als hätte er einen Schlag mitten ins Gehirn bekommen, so fühlte er sich, dabei war es doch nur ein Wort gewesen, ein kleines Wort, dieses Attribut ‚stolz‘.
    Doch was löste das nicht alles aus! Was für ein warmes Durchströmen! Was durchströmte ihn denn da? War das die so oft beschriebene Flut von Gefühlen? Schmelz versteckte das Gesicht in den Händen, während er zum ersten Mal die gesamte Macht eines großen Gefühls durchlebte. Er fühlte! Kurt Schmelz fühlte zum ersten Mal, und wie hilflos er sich dabei vorkam! Kurt Schmelz keuchte, und innerlich geriet ihm alles in Bewegung, und heftig rieb er sich das Gesicht. So also war es, wenn der richtige Mensch das richtige Wort sagte! So also war es, wenn ein Vater vom Stolz zum Sohn sprach, und so also musste es sein, wenn die Geliebte von Liebe redete! Schmelz war es, als schwirrten ihm die Gehirnzellen durch den Kopf, ohne jedoch irgendwo anzuecken und sich zu verletzen. Doch komisch, meinte er, Verletzungen seien nicht zu befürchten. Das Gefühl sei absolut augenblicklich und nichts werde für bleibende Schäden sorgen, bis auf das Nichts selbst, bis auf die Leere, die das Gefühl zurücklasse, diese Leere und die Sehnsucht nach Fülle. Nach Herzhämmern noch in der totesten Gehirnzelle. Kurt Schmelz begriff, es habe ihn erwischt, es habe ihn verändert, zum ersten Mal habe ein Gefühl die Oberhand über den Kopf gehabt, und von nun an werde er, wie all die anderen Menschen auch, danach lechzen, es erneut zu durchleben, dieses Durchströmen und Verflüchtigen; dieses Fühlen, Hälfte einer Einheit zu sein. Er biss sich versteckt auf den Zeigefinger, sah hoch und stellte fest, man erwarte seine Antwort. Halb stand er auf und stützte sich auf die Tischplatte.
    ‚Stolz‘, dieses Wort hallte in ihm wider. Und das Wort ‚Vater‘. Und das Wort ‚Vaterstolz‘. Und zuerst wurde er blass, dann aber knallrot. Er schluckte, doch der Hals war ihm völlig ausgedörrt. Das Herz raste ihm, erneut wurde ihm schwindlig und schwarz vor Augen. Er musste sich wieder setzen, zu schwach, um dem Erbprinz eine Antwort geben zu können. Zu schwach, zu klein und zu dankbar. Dankbar, Ermittlungsrichter Schmelz spürte eine Dankbarkeit in sich, die ihm zur wahren Erfüllung wurde. Unvorbereitet erlag er dieser Regung, nach der jeder Sohn sich sehne, wie er meinte, die jeden Sohn unbesiegbar mache. Und so war es ja auch, unbesiegbar, jetzt war er wirklich unbesiegbar. Nicht irgendjemand war stolz auf ihn, sein Mentor war es. Doktor Kurt Schmelz stand auf, schluckte ein paar Mal und lächelte mit zusammengepressten Lippen, unfähig, etwas von sich zu zeigen.
    Er räusperte sich, wollte etwas sagen, erkannte, dieses Schweigen durchbrechen zu müssen, ehe es peinlich würde, aber was, was er sagen könne, in so einem Augenblick, nein, er wusste es nicht, und er war mehr als froh, als Liebig neben ihm meinte, lächelnd meinte, der Obergruppenführer solle sich diese Worte doch besser für das Schlussplädoyer aufsparen.
    Waldeck Pymont nickte und sagte: „Wahrlich, das sollte ich wirklich. Also dann, immer die richtigen Worte! Und einfach immer bei der Sache bleiben! Bei der Sache bleiben und nicht provozieren lassen, auch Sie nicht, Hauptsturmführer! Wahrscheinlich wird die Verteidigung versuchen, Sie zu diskreditieren, aber Schmelz, darauf werden Sie einfach nicht eingehen!“
    „Jawohl!“, brachte Schmelz heraus und spürte, wie sehr dieses Wort ihm in der Kehle kratzte, wie schwer es herauskam; als wolle es ihm im Hals stecken bleiben.
    Der Obergruppenführer drückte ihnen allen dreien kurz die Schulter und ging dann zur Bank der Anklage, wo er sich inmitten seiner Gefolgsleute setzte, als wäre er, dachte Tarnat, der König, der die Huldigungen seiner Vasallen

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