Letzte Instanz
führte sie
routiniert durch ihre Aussage, die fast identisch mit dem alten Protokoll war.
Jacks Fragen im Kreuzverhör wichen deutlich von denen des unbeholfenen
Pflichtverteidigers ab, den Lis Benedict gehabt hatte.
»Der Brief, mit dem Cordelia
McKittridge nach Seacliff bestellt wurde, traf wann ein, Miss Wingfield?«
»Am 21. Juni, einen Tag vor dem Mord.«
»Und wo traf er ein?«
»In einem Apartment in North Beach, das
Cordy und ich und noch ein paar Frauen sich teilten.« Die Schauspielerin nannte
die Adresse.
Stameroff sah auf. Er preßte die Lippen
zusammen. Es war klar, daß er von dem Apartment wußte und ihm die Richtung, in
die die Fragen gingen, überhaupt nicht paßte.
»War dieses Apartment der ständige
Wohnsitz von Miss McKittridge?« fragte Jack.
»Einspruch. Die Frage bezieht sich auf
etwas, das hier nicht zur Verhandlung steht.«
»Euer Ehren, diese Richtung der
Vernehmung wurde von der Anklage eingeschlagen. Wir werden ihre Relevanz
demonstrieren.«
»Einspruch abgelehnt.«
»Miss Wingfield?«
Die Schauspielerin erläuterte, was es
mit dem Apartment auf sich hatte und was dort passierte. Man hörte
Stimmengemurmel, und Richter Valle rief das Publikum zur Ordnung.
»Dann gab es also häufige Besuche von
verschiedenen Männern in dem Apartment?« fragte Jack.
»Ja.«
»Vincent Benedict?«
»Ja.«
»Leonard Eyestone, der Sohn des
Institutsdirektors?«
»Ja.«
Ich sah Eyestone an, der in der fünften
Reihe saß. Er wirkte unbeeindruckt.
»Gab es noch andere regelmäßige
Besucher aus dem Institute for North American Studies?«
»Nicht, daß ich mich erinnere.«
»Gehen wir zurück zu dem Tag, an dem
der Brief kam, Miss Wingfield. War zu der Zeit außer Ihnen und Miss McKittridge
noch jemand in dem Apartment?«
»Melissa Cardinal war da. Sie hat den
Brief gesehen.«
»Hatten Sie den Eindruck, sie wußte,
daß er von Vincent Benedict war?«
»Einspruch. Verlangt eine
Schlußfolgerung durch die Zeugin.«
»Stattgegeben.«
»Lassen Sie es mich so ausdrücken, Miss
Wingfield. Hat Melissa Cardinal Vincents Briefe Ihnen gegenüber jemals
erwähnt?«
»Ja. Sie sagte...«
»Einspruch. Bloßes Hörensagen.«
»Stattgegeben.«
Jack wechselte elegant die Richtung.
»Bei Ihrer Zeugenvernehmung sagten Sie, Miss Wingfield, Sie hätten gewußt, daß
der Brief von Vincent Benedict war. Sie hätten seine Handschrift erkannt.«
»Das stimmt.«
»Sind Sie eine Freundin von Mr. Benedict
gewesen? Gab es Gründe, daß auch Sie Briefe von ihm bekamen?«
»Einspruch!«
»Ich lasse die Frage zu. Die Zeugin
möge antworten.«
»Ich war mit Mr. Benedict befreundet.«
»Und Sie haben Briefe von ihm
erhalten?«
»Hin und wieder.«
»Aus welchem Grund?«
Die Schauspielerin war schon öfter vor
dem Tribunal aufgetreten und gab die bühnenreife Vorstellung einer bedrängten
Zeugin. Sie rang die Hände, befeuchtete sich die Lippen, suchte nach einem
Fluchtweg. Zu viele ›Perry Mason‹-Wiederholungen gesehen, dachte ich.
»Aus welchem Grund, Miss Wingfield?«
»Für... Verabredungen...«
Jack fuhr zurück, tat schockiert. Auch
er sollte wohl seine abendlichen Sitzungen vor dem Fernseher etwas reduzieren.
»Miss Wingfield«, sagte er, »wollen Sie damit sagen, daß Sie eine Affäre mit
Vincent Benedict hatten?«
Die kleine Schmierenkomödiantin ließ
den Kopf hängen und erzählte ihre — Louise’ — traurige Geschichte. Ich war
froh, daß Louise Wingfield selbst nicht im Saal war und zusehen mußte, wie ihr
Ruf auf so achtlose Weise in den Schmutz gezogen wurde, gleich, wie wenig sie
sich angeblich um ihren Ruf scherte. Doch als die Zeugin entlassen wurde, hatte
Jack weitere Zweifel bei den Geschworenen geweckt.
Stameroff war während des letzten Teils
ihrer Aussage in ein übellauniges Schweigen verfallen, hatte höchstens noch
routinemäßig Einspruch erhoben. Aber als er den Mann aufrief, der Leonard
Eyestones Rolle spielte, wurde er wieder lebhafter. Ich warf einen Blick auf
den echten Eyestone und sah, daß er sich interessiert und leicht amüsiert in
seinem Sitz vorgebeugt hatte.
Während seiner Einzelvernehmung
versuchte Stameroff jede Gelegenheit zu umgehen, die Jack erlauben würde,
Eyestone nach seiner persönlichen Beziehung zu der Ermordeten zu fragen.
Dennoch fand Jack eine kleine Lücke, und als er das Kreuzverhör beendet hatte,
sah Eyestone ebenso schlecht aus wie Louise Wingfield. Zusätzlich zu der Affäre
des Direktors mit Cordy und der Tatsache, daß er die
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