Letzte Nacht in Twisted River
Beihilfe Filomenas hatte Danny die Unabhängigkeit eines Erwachsenen erlangt - sowohl von seiner Familie als auch von seinem Umfeld an der Exeter Academy.
Wie sollte sich der Junge da für Exeters Tanzveranstaltungen mit diversen Mädchenschulen interessieren? Wie sollte eine mit Argusaugen beaufsichtigte und züchtige Umarmung auf dem Tanzparkett je mit dem leidenschaftlichen und schweißtreibenden Kontakt konkurrieren, den er fast allwöchentlich mit Filomena pflegte - nicht nur all die Jahre in Exeter, sondern auch noch während der ersten zwei Studienjahre in Durham?
Und die ganze Zeit über bemitleideten die Calogeros und Saettas die »arme Filomena«, die ihnen, hübsch, wie sie war, doch als ewiges Mauerblümchen erschien, nicht nur als keusche Tante, sondern als zukünftige alte Jungfer. Sie hatten ja keine Ahnung, dass diese Frau sich sieben ausschweifende Jahre lang dem unersättlichen sexuellen Appetit eines Teenagers hingab, der im Begriff war, ein junger Mann zu werden. In den sieben Jahren, die seine Tante Filomena Dannys Sexualleben Dominicrte, machte sie die verlorene Zeit mehr als wett. Dass sie als Lehrerin in Sacred Heart unterrichtete - derselben katholischen Anstalt für junge Mädchen, in der man die
junge
Filomena unterdrückt hatte -, diente als perfekte Tarnung.
All die anderen Calogeros, von den Saettas ganz zu schweigen, hielten Filomena für einen »traurigen Fall« - das waren die exakten Worte seines Vaters, wie Danny einfiel, während er immer schneller lief. Nach außen hin war Filomena ein Muster an Züchtigkeit und katholischer Verklemmtheit, aber - ach! - wenn sie die Kleider ablegte!
»Sagen wir einfach: Ich sorge dafür, dass bei der Beichte keine Langeweile aufkommt«, erzählte sie ihrem betörten Neffen, für den Filomena einen Maßstab setzte; die jungen Frauen, die in Dannys Leben auf Filomena folgten, kamen an die erotischen Höchstleistungen seiner Tante nicht heran.
Filomena war Mitte oder Ende dreißig - ihrer Ansicht nach zu alt, um Kinder zu kriegen -, als es darum ging, ob Danny nach Vietnam sollte (oder nicht). Ketchums Lösung hätte ihr eigentlich gefallen müssen; hätte Danny einen oder zwei Finger verloren, wäre er womöglich ein wenig länger bei seiner Tante geblieben. Filomena war verrückt, aber sie war keine Närrin und wusste, dass sie ihren geliebten Dan nicht ewig würde halten können. Katie Callahans Idee klang in ihren Ohren besser, mit Ketchums Plan konnte sie sich nicht anfreunden - schließlich, und auf ihre wunderliche Art, liebte Filomena ihren Neffen, und Katie war sie nie begegnet.
Hätte Filomena die höchst vulgäre junge Frau kennengelernt, hätte sie vielleicht doch für Ketchums Browning-Jagdmesser votiert, doch letztlich lag die Entscheidung nicht bei ihr. Filomena schätzte sich glücklich, in den sieben Jahren, die Dan ihr hörig war, die beinahe ungeteilte Aufmerksamkeit eines so vitalen jungen Mannes genossen zu haben. Dannys Tändeleien mit den Di-Mattia-Mädchen und etlichen seiner zärtlichen Cousinen störten sie nicht weiter. Filomena wusste, Danny würde immer zu ihr zurückkehren, mit frischem Elan. Diese unbeholfenen Flittchen konnten ihr nicht das Wasser reichen - jedenfalls nicht in den Augen des vernarrten Jungen. Selbst Katie würde nie
die jüngere
Filomena sein, die Danny sich ersehnt oder die er, anfangs, in ihr gesehen haben mochte.
Filomena war jetzt Mitte bis Ende fünfzig, wusste der Schriftsteller. Er rannte noch schneller. Filomena hatte nie geheiratet; sie unterrichtete nicht mehr auf der Sacred Heart, war aber immer noch Lehrerin. Dannys Buch mit dem Semikolon im Titel
(Die alte Jungfer; oder die keusche Tante)
war überall verrissen worden. Es hatte aber eine einzige positive Rezension gegeben, die Danny Angel viel bedeutete.
In ihrem Brief schrieb Filomena: »Dein Roman hat mir ausgesprochen gut gefallen, wie von dir zweifellos beabsichtigt - eine großzügige Portion Hommage mit einem vertretbaren Anteil Missbilligung. Stimmt, ich habe dich ausgenutzt, wenn auch nur am Anfang. Ich war stolz darauf, dass du so lange bei mir geblieben bist, so wie ich jetzt stolz auf dich bin. Und falls ich es dir eine Zeitlang erschwert habe, diese unerfahrenen Mädchen zu genießen, tut es mir leid. Du musst aber lernen, eine klügere Wahl zu treffen, mein Lieber - jetzt, wo du ein wenig älter bist als ich damals, als sich unsere Wege trennten.«
Den Brief hatte sie vor zwei Jahren geschrieben -
Die alte Jungfer;
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