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Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Baumstumpf gesickert, und Ketchums Axt steckte so fest in dem Holz, dass Pam sie nicht herausziehen konnte. Ketchums linke Hand war unauffindbar; anscheinend hatte er sie in den Fluss geworfen.
    Da Danny mitbekommen hatte, an welcher Stelle im Fluss Ketchum auf das Apfelsaffglas mit der Asche des Kochs geschossen hatte, konnte er sich denken, wohin genau Ketchum seine linke Hand geworfen hatte. Doch bestimmt war es dem alten Mann schwergefallen, wieder den Kochhaushügel hinaufzugehen. An der breiten roten Spur im Schnee sah Pam, wie stark Ketchum geblutet hatte.
    »Als sie früher auf dem Phillips Brook noch Hartholz getriftet haben«, erzählte Sixpack Danny, »hab ich mal gesehen, wie Ketchum für den Eigengebrauch ein wenig Brennholz geklaut hat. Also, er hat bloß etwas Faserholz aus dem Stapel genommen - diese eins zwanzig langen, dünnen Stämmchen waren ja nicht der Rede wert. Doch ich hab gesehen, wie Ketchum knappe zwei Festmeter davon in weniger als einer halben Stunde zu Kleinholz gespalten hat! So würde niemand das Zeug wiedererkennen, falls man es irgendwann in seinem Pick-up entdecken sollte. Ketchum hat einfach den Stiel seiner Axt gepackt - einhändig, wie ein kleines Beil - und die Stämmchen der Länge nach gespalten, und dann noch mal und noch mal, bis er die eins zwanzig langen Scheite zu halb so langem
Anmachholz
zerhackt hatte! Ich hab nie erlebt, dass er mit der Axt ausholen musste. Er war so stark, Danny, und so präzise - er hat die Axt einfach mit einer Hand geschwungen, als war sie ein verdammter
Hammerl
Diese Penner von der Paris Manufacturing Company haben nie kapiert, wie ihr Faserholz verschwand! Ketchum sagte immer, diese Arschlöcher wären zu sehr damit beschäftigt, in Maine Toboggans zu bauen - da haben sie fast das gesamte Hartholz hingeschafft. Diese Schwachköpfe in Paris haben nie herausgefunden, wo ihr Faserholz hinkam.«
    Ja, Ketchum konnte einen ein Meter zwanzig langen Hartholzstamm einhändig zerteilen. Danny hatte gesehen, wie der Waldarbeiter seine Axt schwang. Und nachdem er sich die Hand abgehackt hatte, blieb ihm noch genug Kraft, um den Hügel hinaufzugehen, wo er sich hinsetzte, den Rücken an die Reste des Kochhausschornsteins gelehnt. Neben ihm stand eine Flasche Whiskey, berichtete Sixpack; Ketchum hatte sie fast ausgetrunken.
    »Sonst noch was?«, fragte Danny Sixpack. »Ich meine - war noch was neben ihm auf dem Boden?«
    »Ja - eine große Flasche Aspirin«, antwortete ihm Pam. »In der Flasche waren noch jede Menge Aspirintabletten. Ketchum hatte mit Schmerzmitteln nicht viel am Hut, aber er hat wohl ein paar Tabletten genommen, gegen die Schmerzen - bestimmt hat er sie mit dem Whiskey runtergespült.«
    Doch wahrscheinlich hatte Ketchum die Schmerzen
genossen;
wie Danny wusste, dienten der Whiskey und die Tabletten einzig und allein dem Zweck, dass Ketchum nicht aufhörte zu bluten; mit Leuten, die einen Job zu erledigen hatten und ihn verbockten, hatte der Holzfäller wenig Nachsicht. (Nur Ketchum konnte Ketchum töten, stimmt's?)
    »Ketchum hat sich nie verziehen, dass er Cookie nicht retten konnte«, sagte Sixpack zu Danny. »Und davor - nachdem dein Sohn gestorben war, Danny - hatte Ketchum das Gefühl,
dich
nicht beschützen zu können. Ihm blieb nur übrig, sich
zwanghaft
mit deinen Romanen zu beschäftigen.«
    »Genau wie ich«, sagte der Schriftsteller zu Pam. »Genau wie ich.«
     
    Sixpack blieb nicht bis Weihnachten. Nachdem sie Ketchums Gewehre nach oben in Dannys Schlafzimmer getragen hatten (Pam bestand darauf, dass
alle
Schusswaffen unter Dannys Bett lagen, weil Ketchum es so gewollt hatte) und die Kisten mit Rosies Büchern in Dannys Schreibzimmer, warnte Sixpack Danny, sie sei Frühaufsteherin. »Wie früh?«, fragte er sie.
    Als Danny am nächsten Morgen aufwachte, waren Ketchums Pick-up samt Sixpack verschwunden. Sie hatte ihm noch Kaffee gemacht und von Hand einen mehrseitigen Brief geschrieben, auf dem Schreibmaschinenpapier, das in seinem Fitnessraum lag. Sixpacks Handschrift war Danny aus den Jahren vertraut, als sie für Ketchum, der damals noch Analphabet gewesen war, dessen Briefe verfasst hatte. Danny hatte vergessen, wie gut Pam schrieb - weit besser, als sie sprach, noch dazu ohne Rechtschreibfehler. (Danny fragte sich, ob das daher kam, dass sie Ketchum so viel laut vorgelesen hatte.)
    Sixpacks Brief enthielt natürlich Anweisungen für den Umgang mit Hero, doch der größte Teil des Briefes war privater, als Danny erwartet

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