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Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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- Wirbel, die aussahen wie Minitornados aus Schnee. Manchmal, wenn der Wind nordwärts blies, längs durch die ganze Shawanaga Bay, entstanden
echte
Tornados - so ähnlich kannte man sie auch im Mittleren Westen der usa oder in den kanadischen Prärien, wie Danny wusste. (Andy Grant hatte ihn gewarnt, er solle vor ihnen auf der Hut sein.)
    Tireless hatte Danny auf dem Handy angerufen. Heute wolle sie keine Inselputzfrau sein; es sei keine gute Idee, mit dem Propellerboot rauszufahren, nicht bei so schlechter Sicht. Erst vor wenigen Jahren, erzählte Tireless Danny, habe bei ähnlichen Sichtverhältnissen irgendein Depp aus Ohio auf den O'Connor Rocks sein Propellerboot auf Grund gesetzt, nur ein wenig nordwestlich der Moonlight Bay. (Danny musste dort vorbei, wenn er Tireless in der Shawanaga Landing Indian Reservation abholte.)
    »Was ist dann mit diesem Deppen aus Ohio geschehen?«, fragte Danny.
    »Man hat den armen Trottel erfroren aufgefunden - steif wie ein Brett«, erzählte ihm Tireless.
    »Ich hole Sie morgen oder übermorgen ab, sobald der Sturm sich gelegt hat«, sagte Danny. »Ich rufe Sie an, oder Sie rufen mich an.«
    »Geben Sie Hero einen Kuss von mir«, sagte sie.
    »Ich küsse Hero eher selten«, antwortete Danny. »Zumindest nicht freiwillig.«
    »Sie sollten ihn häufiger küssen«, empfahl Tireless. »Ich glaube, Hero wäre netter zu Ihnen, wenn Sie ihn häufiger küssen würden.«
    Im Schreibschuppen hatte Hero den ganzen Morgen lang gefurzt, was das Zeug hielt - seine Darmwinde erreichten fast die Stärke des Schneesturms, den Danny aus seinem Fenster beobachtete. An diesem Morgen geriet der Schriftsteller nicht in Versuchung, seine Beziehung zu dem Jagdhund zu
vertiefen.
»Mein Gott, Hero!«, hatte Danny während dieses übelriechenden Morgens mehrmals ausgerufen, doch es war nicht das richtige Wetter, das Tier vor die Tür zu schicken. Und trotz der anhaltenden Flatulenz des Hundes war der Schriftsteller mit seiner Arbeit gut vorangekommen; Danny näherte sich langsam, aber sicher dem Beginn seines ersten Kapitels.
    Gewisse Sätze fielen ihm nun als Ganzes ein, komplett; sogar die Zeichensetzung machte einen unverrückbaren Eindruck. Wenn zwei solche Sätze nacheinander geboren wurden, wenn einer direkt nach dem anderen ans Licht kam, war der Schriftsteller von seiner Arbeit besonders fasziniert. Das erste Doppel dieses Morgens hatte er auf ein Blatt Papier geschrieben und die Seite mit einer Heftzwecke an die rauhe Kiefernholzwand seines Schreibschuppens gepinnt. Danny sah immer wieder auf diese Sätze, las sie mehrmals durch.
    »Was den Fluss betraf, der floss einfach weiter, was sollen Flüsse sonst tun - sonst tun. Unter den Baumstämmen trieb der Leichnam des jungen Kanadiers, und der Fluss stieß ihn hin und her - hin und her.«
    Die Wiederholungen gefielen Danny. Er wusste, das war Material für das erste Kapitel, aber diese Passage gehörte an das Kapitelende - es klang eindeutig nicht nach Anfang. Danny hatte die Formulierung
Unter den Baumstämmen
umkringelt, die, wie der Schriftsteller fand, keine üble Kapitelüberschrift wäre. Doch der Schwerpunkt des ersten Kapitels schien auf dem Koch zu liegen; der Schwerpunkt lag eigentlich nicht auf dem Jungen, der unter die Stämme gerutscht war.
    »Man brauchte in Gegenwart des Kochs nur >die Vergangenheit oder >die Zukunft< zu sagen, schon runzelte er die Stirn«, schrieb Daniel Baciagalupo. Er hatte noch andere einzelne Sätze über den jungen Koch; für Danny waren sie so etwas wie Markierungen oder Wegweiser, die ihm bei der Orientierung halfen, während er das erste Kapitel verfasste. Ein anderer Satz lautete: »Der Koch fand, der Twisted River besitze nicht genug Biegungen, um seinen Namen - Gewundener Fluss - zu verdienen.« Natürlich gab es noch viel mehr über den Koch; es nahm kein Ende. »Der Koch sah den Flößer mit dem gebrochenen Handgelenk ans Ufer kommen, die Flößerstange in der unversehrten Hand«, schrieb Danny.
    Im ersten Kapitel würde viel aus der Perspektive des Kochs erzählt werden, stellte sich der Schrift steller vor - so wie später aus der Perspektive seines zwölfjährigen Sohnes. »Der Koch wusste nur zu gut, dass tatsächlich der junge Kanadier unter die Baumstämme geraten war«, schrieb Daniel Baciagalupo. Es gab auch einen Satz über den Koch, den er unvollendet ließ - wenigstens vorerst. »Der Koch wirkte stets besorgt, als rechnete er ständig mit den unwahrscheinlichsten Katastrophen« - weiter

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