Letzte Rache: Thriller (German Edition)
Sir«, sagte er.
Trotz allem musste Henry Mills grinsen. »Als ob mir das nicht klar wäre, Mr …«
»Inspector.« Carlyle fummelte in seiner Tasche nach dem Dienstausweis. »Inspector John Carlyle. Ich komme von der Station Charing Cross.«
Als Carlyle seinen Ausweis ausfindig gemacht hatte, drehte Mills ihm bereits den Rücken zu und goss sich ein weiteres Glas ein. »Wollen Sie auch einen?«, fragte er über die Schulter.
Carlyle ignorierte das Angebot. »Warum nehmen Sie nicht Platz, Sir?«
Nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass sein Glas fast drei viertel voll war, ließ Henry Mills sich in einen dick gepolsterten Sessel in einer Ecke neben dem Fenster plumpsen und knallte dann die Flasche neben sich auf den Boden. In der Hoffnung, dass die XXL-Polizistin das Sofa nicht ruiniert hatte, nahm Carlyle den Platz ein, der von ihr geräumt worden war. Da die Präliminarien hinter ihnen lagen, beschloss er, direkt zur Sache zu kommen. Er schaute an Mills vorbei durch das Fenster auf einen Himmel, der hätte blau, aber genauso gut auch grau sein können, und fragte: »Warum haben Sie Ihre Frau umgebracht?«
Mills runzelte die Stirn, und seine Hand schloss sich fester um das Glas. Sein Mund öffnete sich, aber es kamen keine Worte heraus.
Carlyle wartete einen Moment. Er wollte die Frage gerade wiederholen, als sie von einem Geräusch abgelenkt wurden, das aus der Diele kam. Eine Sekunde später ging Bassett vorbei, gefolgt von der in einen Sack geschobenen Leiche, die auf einer Bahre getragen wurde. Als Agatha Mills ihre Wohnung zum letzten Mal verließ, gab ihr Mann ein leises Stöhnen von sich und ließ sich zurück in seinen Sessel sinken. Im nächsten Augenblick erschien Joe in der Tür.
Es ist so, als versuchte man, in der Mitte des beschissenen Piccadilly Circus zu arbeiten, dachte Carlyle. Er forderte seinen Sergeant durch ein Zeichen auf hereinzukommen, und Joe tat ihm den Gefallen, indem er sich auf die Sofalehne setzte, die der Tür am nächsten war, und möglichst weit entfernt von Mills, der mittlerweile verdrießlich das Glas Scotch auf der Armlehne seines Sessels anstarrte.
Immer noch sagte niemand ein Wort.
Carlyle genoss den Geruch des Whiskys, während er sich mit leichter Verspätung in dem Zimmer umsah. Ein leerer offener Kamin nahm den großen Teil einer Wand ein. Auf dem Kaminsims standen zwei Fotos, die auf den ersten Blick beide Henry und Agatha im Urlaub zu zeigen schienen. Über dem Kamin hing ein gewaltiges Plakat, auf dem eine Faust vor einer Flagge dargestellt war, die Carlyle nicht kannte. Oben stand in großen Buchstaben Venceremos darauf und unten Unidad Popular . Das Plakat, das an einigen Stellen vergilbt war und in der unteren linken Ecke einen Riss aufwies, hätte man eher an der Wand einer Studentenbude vor vielleicht dreißig oder vierzig Jahren erwartet, aber es war in einen teuer aussehenden Rahmen gesteckt worden, der sehr viel mehr wert zu sein schien als das Plakat selbst.
An den anderen beiden Wänden standen Regale, die vom Boden bis zur Decke mit Büchern vollgestopft waren, vor allem Romane und historische Werke, soweit er sehen konnte. Manche von ihnen waren auf Englisch geschrieben, aber es gab auch viele in anderen Sprachen – spanisch, französisch und deutsch. Die meisten machten einen zerlesenen Eindruck. Außerdem gab es auf beiden Seiten des Sessels, in dem Henry Mills saß, Bücherstapel, die fast einen Meter hoch waren. Ein weiterer Stoß befand sich vor einem kleinen Röhrenbildschirm, der in einer Ecke neben dem Fenster fast nicht zu sehen war. Auf dem Fernseher stand ein Videogerät, aber Carlyle konnte keine Bänder sehen. Keiner der beiden Apparate war im Stand-by-Modus, und beide waren von einer dicken Staubschicht bedeckt. Von einem DVD -Player oder einer Digibox war nichts zu sehen.
Carlyle ließ seinen Blick über die Buchrücken schweifen: Pinochet in Piccadilly: Britain and Chile’s Hidden History ; Subversive Scriptures: Revolutionary Christian Readings of the Bible in Latin America ; States, Ideologies, and Social Revolutions: A Comparative Analysis of Iran, Nicaragua, and the Philippines . Seine Augen trübten sich rasch, weil er sich Sorgen machte, dass allein die Lektüre der Titel ihm Kopfschmerzen bereiten könnte. Carlyle las ganz gerne, aber er konnte sich nicht vorstellen, allein die paar Hundert Bücher in diesem Zimmer durchzugehen. Er schaffte vielleicht sieben oder acht Bücher pro Jahr. Falls es nicht die
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