Letzte Reise
großen Mannes‹ hatte sie gegeben. So gut wie mühelos noch dazu.
Ich verliere mich, dachte sie, ich spiele so gut eine andere, daß ich noch vom Weg ins Innere abkomme. Es muß aber sein. Je mehr ich ihnen beipflichte, den Anbetern, desto eher werden sie mich in Ruhe lassen, mit James allein lassen. Ich beschütze ihn vor seinen Verehrern. Zum Vermissen komme ich nicht. Das steht jetzt nicht an. Wenn ich jemanden vermisse, dann ist es Elly. Zwölf, fast dreizehn wäre sie jetzt. Jamie und Nat kennen sie noch, die waren acht und sieben, als sie starb. James hat sie nur ein knappes Jahr lang miterlebt. Wer denkt sie jeden Tag wieder ins Leben? Frances? Mary? Man kann das von niemandem verlangen. Man muß es selbst tun. Tagtägliche Arbeit ist das. Aber wessen soll ich gedenken, wenn ich James' gedenke? Nicht des James von Banks, von Sandwich, vom König. Wessen dann?
Sie hörte, daß wieder Besuch kam, Stimmen auf dem Flur, Gescharre bei der Garderobe; sie war bereit, verwandelte sich in die öffentliche Witwe und wartete. Doch niemand kam. Es mußte etwas mit dem Kaminfeuer geschehen, es war viel zu kalt, um jemanden zu empfangen. Sie seufzte, straffte die Schultern und ging in die Küche.
Hugh Palliser saß neben seinem Patenkind am Tisch und zeichnete Hühner auf ein Stück Packpapier. Mary hockte auf einem Bänkchen am Herd und kostete von dem neuen Gin, und Charlotte lehnte mit verschränkten Armen an der Anrichte.
»Das Feuer ist aus«, sagte Elizabeth.
Palliser erhob sich, auf die Tischplatte gestützt, griff zu seinem Stock und wollte etwas sagen.
»Es ist wirklich eiskalt da drinnen. Ich weiß nicht – kannst du dich nicht darum kümmern, Charlotte?« Die Worte strömten immer weiter, Palliser kam nicht dazwischen. »Es liegt noch trockenes Holz in der Waschküche, glaube ich. Vielleicht mußt du ihn erst ausfegen, den Kamin, meine ich, es ist unheimlich viel Dreck darin, scheint mir.«
Charlotte band sich eine Schürze um und ging mit dem Ascheimer aus der Küche.
»Hahn?« fragte der Junge. Niemand antwortete.
»Ich hoffe, du verübelst es mir nicht, daß ich unangemeldet hereinplatze«, sagte Palliser schließlich. Elizabeth schwieg. Hätte sie es abgelehnt, ihn zu empfangen? Sie wußte es nicht. Sie sah ihn an. Aschfahles Gesicht, tränende Augen, schmerzverzerrter Mund. Was sollte sie tun? Es gab keinen Raum im Haus, in den sie sich mit ihm zurückziehen konnte. Wegschicken ging auch nicht. Sie standen zu beiden Seiten des Tisches, flach atmend, abwartend.
»Wir gehen nach draußen«, sagte Elizabeth. »Mutter, gibst du solange auf Benny acht?«
Mary schrak aus ihren Träumereien auf und nickte.
»Es ist naßkalt«, sagte sie, »zieh dir was über. Das geht durch und durch. Hier, nimm mein Tuch.«
Sie zog den bunten Fetzen von ihren Schultern und drückte ihn Elizabeth in die Hände, die verblüfft damit auf den Flur hinausging. Pallisers Stock tickte hinter ihr auf den Fliesen.
Der Nebel war so dicht, daß er sich wie eine fettige Haut auf ihr Gesicht legte. Die Stämme der Bäume glänzten, als hätte man sie geölt. Sie blickte geradeaus und stapfte zügig die schlammige Straße hinunter. Neben ihr humpelte Palliser, außer Atem. Sie wußte es, kümmerte sich aber nicht darum. Wenn er jetzt nur nicht, dachte sie, wenn er jetzt nur nicht auch noch anfängt, zu verehren und zu vergöttern. Sie konnte eigentlich nicht mit ihm sprechen, aber wenn sie sprach, mußte es echt sein, nicht sentimental, nicht den Konventionen gehorchend, nicht so, niemals so, wie sie mit anderen sprach. Er keuchte. Ihr Satinkleid schleifte durch die Pfützen. Marys karierte Pferdedecke kam ihr vor wie ein Joch, das auf ihren Schultern lastete.
»Warte doch mal«, sagte Palliser schließlich, »ich halte das nicht durch.«
Sie blieb abrupt stehen und wandte ihm das nasse Gesicht zu. »Na und?! Wie, glaubst du, halte ich das durch?«
Er hob den freien Arm, als wolle er sie berühren, ließ ihn aber langsam wieder fallen.
»Wir können ins Prospect of Whitby gehen. Da sitzt man um diese Zeit ruhig. Es ist hier um die Ecke.«
»Am Wasser! Mit Blick auf diese elenden Docks gegenüber! Was denkst du dir eigentlich!«
Sie ging weiter, in etwas gemäßigterem Tempo. Stramme kleine Schritte machte sie, mit einer gewaltigen Spannung geladen.
»Was willst du dann?«
»Weiß ich nicht. Du kommst mich besuchen. Ich will nichts.«
»Ja«, sagte er. »Ich komme dich besuchen, denn dein Mann ist tot, du wirst von
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