Letzte Reise
Herren belästigt, die dir ihre Aufwartung machen, du mußt alles mögliche regeln und an alles denken. Ich komme, um zu sehen, wie es dir geht, wie es um mein Patenkind steht und ob ich dir helfen kann. Ich komme, um dir zu zeigen, daß ich an dich denke. Daß ich deinen Kummer teile. So ist das. Und das würde ich lieber in einem warmen Wirtshaus tun als auf dieser kalten Straße.«
»Was du lieber tätest, interessiert mich nicht. Wenn es dir nicht zusagt, kannst du ja gehen. Darin bist du doch gut, nicht wahr?«
»Jetzt beruhige dich doch, Elizabeth. Wir sind naß. Gib mir deinen Arm, dann kann ich besser laufen. Wir haben doch hier irgendwo in der Gegend schon einmal zusammengesessen, da hatten wir auch Streit. Komm mit.«
Er preßte ihren Arm fest an sich. Genau wie damals, dachte sie, vor gut vier Jahren. Ich war schwanger. Er wollte dafür sorgen, daß James zu Hause bleibt. Ich zählte auf ihn.
Sie saßen in derselben Ecke. Der nämliche Wirt schenkte ihnen den nämlichen warmen Glühwein ein. Elizabeth drapierte das monströse Tuch ihrer Mutter über die Stuhllehne und sah Palliser an.
»Eigentlich kann ich es nicht glauben«, begann er. »Es dringt nicht wirklich in mein Bewußtsein, daß James nicht mehr ist. Vielleicht, wenn die Schiffe ohne ihn einlaufen. Ich denke immerzu daran, wie es für dich sein muß, diese Leere, an die du dich zwar gewöhnt hast, die aber nun plötzlich permanent ist. Die Jungen, die keinen Vater mehr haben. Alles ist auf einmal anders. Nie mehr mit ihm zusammenarbeiten. Unvorstellbar. Ich bin natürlich schon seit Jahren nicht mehr bei der Admiralität, ich würde ohnehin nicht mehr mit James zusammenarbeiten. Mein Leben hatte sich schon verändert, nach diesem abersinnigen Kriegsgericht. Ich lebe jetzt allein, meistens in Chalfont. Es gefällt mir auf dem Land; wenn ich im Erker sitze, blicke ich auf den Park hinaus. Rasen, hie und da eine dunkle Buche, und wenn man geduldig wartet, sieht man einen Hirsch. Meine Frau ist in ein Pflegeheim aufgenommen worden. Dort geht es ihr besser. Das wußtest du noch nicht. Ich wünschte, du würdest einmal zu Besuch kommen, bei mir könntest du dich vielleicht ausruhen. Du siehst gehetzt aus.«
Er rieb sich über das Gesicht und sah sie, stets wieder den Blick abwendend, verstohlen an.
»Sie haben mich hinausgeworfen, Sandwich und Stephens. Von einem Tag auf den anderen wurde ich meines Postens enthoben, hat man mich aus meiner Arbeit hinauskatapultiert. Ich durfte mich nicht mehr auf der Werft blicken lassen und sie ließen mein Büro räumen. Sie schoben mir ein Schiff unter den Arsch, und ich mußte wieder auf See, wie früher. Nun ja, du weißt, wie das ausgegangen ist. Nach den juristischen Scharmützeln wollte ich selbst nicht mehr, obwohl ich Recht bekommen hatte. Sie mußten mir etwas anbieten, es wurde Greenwich. Ich hatte keine Lust. Da haben sie mich ehrenvoll entlassen, wie man das so schön nennt. Es sticht mich wie diese alte Wunde, weißt du das? Ich hatte Probleme in jenem Jahr, als James seine Reise vorbereitete. Aber sie hatten nicht das geringste Mitgefühl. Entlassung. Erledigt.«
Er schüttelte den Kopf. »Was rede ich die ganze Zeit von mir. Aber ich mußte das kurz loswerden. Verzeih, Elizabeth. Das kannst du jetzt nicht brauchen. Erzählst du mir, wie es dir geht, wie es deinen Kindern geht, was du jetzt denkst? Bitte? Dein Jüngster ist so groß geworden. Er hat etwas von James im Gesicht. Freut dich das, Elizabeth?«
Sie streckte sich und begann leise zu reden. Sie hörte, wie flach und farblos ihre Stimme klang, und sie sah ihre Hände in ihrem Satinschoß liegen, als gehörten sie einer anderen.
»Wir nennen ihn Benny. Er ist ein ruhiges Kind. Meistens sorgt Charlotte für ihn, das hat sich so ergeben. Ich muß mich immer noch an ihn gewöhnen. Er hängt an Jamie, der kommt zwischen seinen Reisen oft nach Hause. Ich glaube, daß Benny ihn mit James verwechselt oder die beiden für ein und dieselbe Person hält. Fort mit dem Schiff und dann plötzlich wieder zurück. Er versteht das nicht. Ich hoffe, daß Jamie bald wiederkommt. Er weiß noch nichts. Nat schon, ich habe ihm gleich geschrieben.«
»Auch über den Hergang?«
Sie wandte ihm das Gesicht zu. »In groben Zügen. Ein bißchen. Ich will ihm keine Angst einjagen. Eigentlich würde ich ihn gern vor dieser elenden See behüten, aber ich darf ihn nicht beeinflussen. Er muß selbst entscheiden.«
»Er wird schon kommen«, sagte Palliser. »Er
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