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Letzte Reise

Letzte Reise

Titel: Letzte Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Enquist
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kommt nach Hause und macht wieder Musik. Weißt du selbst überhaupt, was genau passiert ist? Was haben sie dir erzählt? Hast du die Journale gesehen?«
    »Nein. Ja. Es gibt ein Tagebuch von James, über die Reise an sich natürlich. Sie hatten es nicht da und sagten auch wenig darüber. Es stand nicht zur Debatte. Nach dem Mord hat King das Journal übernommen. Sein Bericht wurde auch geschickt, mit einem langen Brief von Gierke, soweit ich verstanden habe. Eigentlich weiß ich nicht, was passiert ist. Warum eine Landung, die hundertmal gutgegangen war, nun plötzlich einen so fatalen Verlauf nahm. Ich weiß, was in der Zeitung stand, daß James von den Menschen dort verherrlicht und bewundert wurde. Wieso sie ihn dann ermordet haben, kann ich nicht verstehen. Er hatte auch noch zehn Marinesoldaten bei sich. Stell dir vor, in diesen knallroten Jacken.«
    Die Sonne, dachte sie, noch nicht sengend, sondern behaglich. Das Geräusch ins Wasser tauchender Ruderblätter. Ein Vogel. James, der entschlossen zum Strand späht, verärgert über den unguten Tagesbeginn. In Gedanken schon mit der Abreise befaßt. Noch kurz das gestohlene Boot wiederholen, den reparierten Mast aufrichten und dann die Segel hissen. Sie hielt mit aller Macht ihre Tränen zurück.
    »Wir sehen es falsch«, hörte sie Palliser wie von weit her sagen. »Wir verfügen über Kultur, und deshalb denken wir, daß die Eingeborenen froh sind, wenn wir kommen. Wir bringen ihnen Geschenke, die wir selbst ganz fabelhaft finden: Lederschuhe, Ordnung und Regelmäßigkeit, aufgereihte Bohnenstangen in umgegrabener Erde. Die Seekarte. Das geschriebene Wort. Sie lassen uns in diesem Wahn, indem sie sich wie ein Schwarm toller Kinder auf unsere Sachen stürzen. Unter Lebensgefahr stehlen sie Seidenstrümpfe unter unseren Kopfkissen hervor. Uniformknöpfe, Eisenzangen, einen Kompaß, einen Geißfuß – alles wollen sie haben. Die andere Seite sehen wir nicht. Wir unterminieren mit unseren allmächtigen Feuerwaffen die Autorität ihres Häuptlings. Wir erwarten die tägliche Lieferung von Schweinen, Laufvögeln und Bananen – wir fressen ihre Vorräte auf. Wir schlafen mit ihren Frauen und stören ihre soziale Ordnung. Kannst du dir vorstellen, was wir dort hinterlassen, wenn wir wegfahren? Zerstörte Ehen, leere Felder, entthronte Machthaber, halbweiße Kinder. Daran denken wir nicht. Kein Wunder, daß sie feindselig werden. Angst vor unseren Kugeln ist das einzige, was diese Feindseligkeit im Zaum hält. Es verwundert nicht, daß es einmal außer Kontrolle gerät. Es ist eher verwunderlich, wenn es gutgeht.«
    Elizabeth wiegte den Oberkörper vor und zurück. Dabei drückte sie die Finger gegen den glatten Satin über ihren Rippen und hielt sich gut fest. Warum muß ich mir das anhören? Er kommt, um mir zu helfen, sagt er, aber er beklagt sich nur über seine Entlassung und nörgelt über die Expeditionen und deren Nutzen, das ist alles. Was hab ich davon? Es kommt mir vor, als säße er meterweit von mir entfernt, weit weg, ich verstehe ihn kaum. Wenn er sich neben mich setzt, wird alles anders. Ich weiß es. Dann kommt der Trost.
    Unvermittelt stand sie auf.
    »Ich gehe.« Sie nahm das Tuch und marschierte zum Ausgang. Palliser hievte sich hoch, warf einige Münzen auf den Tisch und humpelte ihr nach.
    Im Sprühregen draußen atmete sie auf. Das Straßenpflaster glänzte in dem goldenen Licht, das durch die grauen Wolken hervorlugte. Mitten auf der Straße blieb sie stehen und wandte sich Palliser zu.
    »Du«, sagte sie, »du. Mein sogenannter Freund. Mein Beschützer, bei dem James ruhigen Herzens seine Familie zurückließ. Ich zählte auf dich, vor vier Jahren. Du hast mich ohne Zögern fallenlassen, so sehr mußtest du vor Sandwich katzbuckeln. Ich habe versucht, es zu verstehen, dir zu vergeben. Aber ich kann meinen Sohn nicht mit deinem Namen ansprechen. Dennoch wollte ich dich nicht verlieren. Ich habe mein Bestes gegeben. Aber du, Hugh Palliser! Du hast mich ein zweites Mal betrogen, verdammt noch mal! Du brauchst gar nicht so erstaunt zu schauen. Ja, ich fluche wie deine Matrosen. Was jetzt passiert ist, ist deine Schuld. Weil du zu lasch warst, auf der Werft Aufsicht zu führen, mußte James mit einem mangelhaften Schiff in See stechen. Verzweifelt schrieb er mir vom Kap, die frischen Vorräte durch eindringendes Wasser vernichtet, Leinen gerissen, Taljen geborsten. Zu Beginn der Reise!
    Weil du deine Pflichten versäumt hast, mußte er überall

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