Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Letzte Reise

Letzte Reise

Titel: Letzte Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Enquist
Vom Netzwerk:
schreibe Euch, um Euch das mitzuteilen. Die Nachricht kam vor zehn Tagen. Seither liegt Elizabeth oben. Sie ißt nichts. Sie will nichts. Sie liest die Briefe nicht, die für sie eingehen. Ich öffne sie und lese sie ihr vor. Aber sie scheint es nicht zu hören. Ich hoffe, daß sie zuhören wird, wenn ein Brief von Euch kommt. Verzeiht, daß ich so konfus schreibe. Wir wissen uns hier keinen Rat mehr. Elizabeths Mutter kann nicht kommen. Sie muß in Barking, wo sie wohnt, das Bett hüten. Sie hat sehr an Nat gehangen. Es ist zuviel für sie, als alte Frau. Meine Bitte lautet: Könntet Ihr vielleicht einen aufmunternden Brief an Elizabeth schreiben, daß sie essen und aufstehen und nach draußen gehen soll? Soll ich Herrn Palliser kommen lassen? Haltet Ihr das für eine gute Idee? Die Offiziere von den zurückgekehrten Schiffen haben hier vorgesprochen, Herr Burney und Herr King. Sie wollten natürlich über den Kapitän reden. Das gehe jetzt nicht, habe ich gesagt. Dabei hatte sie sich darauf gefreut, Elizabeth, meine ich, auf die Rückkehr der Schiffe, weil sie hoffte, mehr über den Tod von Herrn Cook zu hören. Aber jetzt ist alles anders. Wenn sie doch nur etwas essen wollte! Der Arzt kommt jeden Tag. Er gibt ihr Laudanum gegen den Kummer. Dann kann sie ein Weilchen schlafen. Ich hoffe, Ihr schreibt bald und vergebt mir meine Bitte. Eure Adresse schreibe ich von einem alten Kuvert ab. Mit der gebührenden Hochachtung und den wärmsten Grüßen, Eure Jane Nelson.
    P. S. Ich vergaß, mich zu erkundigen, ob es Euch und Eurem Mann gutgeht. Weil der Brief gleich wegmuß, kann ich ihn aber nicht noch einmal schreiben. Und ich muß ihn ihr noch vorlesen, denn ich möchte nichts hinter ihrem Rücken tun. Das ist schwer. Ich weiß, es ist unhöflich, und ich bedaure es sehr. Mit der Bitte um Entschuldigung, Eure Jane N.
    Meistens hatte sie die Augen zu. Das Flackern der Kerze und die sich verschiebenden Schatten störten sie. Sie bewegte sich möglichst wenig, hatte ihren Körper auf die Matratze niedergelegt, die Beine nebeneinander, die Arme über der Brust gekreuzt – so ließ sie die Gliedmaßen liegen, bis sie sie eigentlich nicht mehr spürte. Ihr Kopf lag seitlich auf dem Kissen, das Gesicht dem Fenster zugewandt. Sie kehrte in ihr Inneres ein, als wollte sie eine Bestandsaufnahme von dem machen, was sich darin befand, nun, da die Herrschaft über die Dinge außerhalb von ihr zunichte war. Es glich einem Schwimmen unter Wasser, wobei sie sich mit aller Kraft dem Grund zubewegte. Kinn auf der Brust. War es gut, daß Nat nicht schwimmen konnte, hatte es ihm einen langen Todeskampf erspart? Nein, nein, nicht an die Wasseroberfläche, fort vom Licht. Sie hörte sich selbst ein tierhaftes Wimmern ausstoßen, widerwärtig. Dann tauchte sie wieder unter, es war Sommer, und sie saß mit ihren Söhnen im Garten. Benny saß bei seinem ältesten Bruder, der in ein Skizzenbuch vertieft war, auf dem Schoß. Der schmale Kinderleib lehnte an Jamies Brustkasten. Der junge Seemann nahm seine Aufgabe ernst und zeichnete konzentriert eine Auswahl von Hühnervögeln für das Kind. Was für ein merkwürdiges Interesse, hatte Elizabeth gedacht, ein Junge in seinem Alter redet doch von Heuwagen, Postkutschen, galoppierenden Jagdpferden. Sie hatte die Zeitung vor sich ausgebreitet und lauschte dem Gespräch zwischen ihren Kindern. »Hahn«, sagte Benny. »Schneehahn. Fasaaan!«
    »Huhn«, brummte Jamie.
    »Schwan! Birkhahn!«
    »Benny liebt das a«, sagte Nat bedächtig. »Es klingt auch schön, da hat er recht. Sag ruhig Perlhahn, Benny.«
    »He! Du mußt ihm nichts beibringen, was nicht stimmt. Ich zeichne hier ein Tier, das Schneehuhn heißt. Nicht Hahn.«
    »Er kommt doch bald in die Schule«, sagte Nat. »Da kann er lernen, wie alles wirklich heißt. Oder lachen sie ihn aus, wenn er Birkhahn sagt? Du solltest ihm einen Pfau machen Jamie.«
    Nats Haar glänzte in der Mittagssonne. Elizabeth hatte sich stark gefühlt, zum erstenmal seit der Nachricht von James' Tod. Ich habe diese Kinder, hatte sie gedacht, sie sind da, sie reden miteinander, ich bin ihre Mutter.
    »Papa hatte Pfauen an Bord«, hatte Nat sich erinnert. »Ein Pfauenpaar. Die laufen jetzt vielleicht am Strand herum. Auf Tahiti.«
    Jamie konzentrierte sich auf die imposanten Rückenfedern des Pfaus. Er hatte ein neues Blatt genommen, damit er das riesige Pfauenrad in voller Pracht wiedergeben konnte. Benny folgte dem Bleistift mit den Augen.
    Sie hatte das Gefühl, sich

Weitere Kostenlose Bücher