Letzte Reise
spannen, mit Winden hoch und füllten die Beiboote an Deck damit, und wenn wir Wasser brauchten, zerhackten wir einen Klumpen und schmolzen die Stücke im Kessel. Köstliches Wasser. Es könnte sein, daß das Salz beim Gefrieren herausgedrückt wird, so daß das Eis selbst salzfrei bleibt. Wenn das so sein sollte, müßte das Meer immer salziger werden. Das Problem ist noch nicht zufriedenstellend gelöst, aber wir wissen jetzt zumindest, daß auch Salzwasser erstarren kann, genau wie es der gelehrte Forster sagt!«
Forster, der den Mund schon geöffnet hatte, um James zu widersprechen, schnappte nach Luft und schwieg.
Palliser schüttelte den Kopf und zog die Serviette auf Elizabeths Schoß zurecht. »Wie ein Korb Krabben, diese Wissenschaftler«, sagte er leise. »Sie zwacken einander die Beine ab, wenn man nicht aufpaßt. Sandwich hat restlos genug davon, jede Beratung mit Forster endet in Geschrei und Handgreiflichkeiten. Wie denkt denn James über die Zusammenarbeit?«
»Es gibt keine Zusammenarbeit. Jeder schreibt sein eigenes Buch, ohne Abstimmung, ohne Themenabgrenzung. Ich glaube, James würde am liebsten allein publizieren, aber er ist sich unsicher. Du mußt ihn selbst fragen.«
Er setzte sich anders hin und zog eine Grimasse. »Hast du Beschwerden?« fragte sie. Als junger Mann war er bei einem Unfall an Bord schwer verletzt worden; seither war sein linkes Bein so gut wie gelähmt, und er hatte ständig Schmerzen. Er ließ sich nie etwas davon anmerken.
»Ja. Wird wohl der Wetterumschwung sein. Im Herbst ist es meistens schlimmer. Beachten wir es gar nicht, Elizabeth, es hat keinen Sinn. Sollen wir James einen guten Redakteur schicken, würde ihm das beim Schreiben helfen? Vielleicht gewinnt er ja größere Freude daran, wenn ihn jemand ermuntert.«
Nein, dachte sie, bloß nicht, das gehört uns, ich will ihm helfen, da soll sich keiner von der Admiralität einmischen.
»Er schreibt an einer neuen Fassung. Ich helfe ihm dabei. Wir könnten es aber jemandem vorlegen, wenn wir damit fertig sind. Laß uns ein andermal darüber reden, ja? Wie geht es deiner Frau, hat sie nie Lust, mitzukommen?«
Palliser sah sie von der Seite an und legte Gabel und Messer auf seinen Teller.
»Einzig und allein unangenehme Themen heute abend. Wenn wir nebeneinandersitzen, sollten wir von etwas Heiterem reden. Es geht ihr nicht gut. Eigentlich ist sie verrückt. Ich lasse sie konstant bewachen, damit sie sich nichts antun kann. Ich möchte nicht darüber reden.«
Elizabeth suchte nach Worten, um ihn abzulenken, ihre Gedanken kreisten aber weiterhin um die Frau Pallisers. Eine schwere Melancholie, hatte er irgendwann einmal gesagt. Sie hatte diese Krankheit mit der Kinderlosigkeit in Zusammenhang gebracht. Sie spürte, wie ihr die Röte in die Wangen stieg, hatte sie Palliser doch soeben erzählt, daß sie schwanger war. Sie legte entschuldigend die Hand auf seinen Arm – was war nur mit seinen Armen –, sagte aber nicht, wofür sie sich entschuldigte.
»Musik! Laß uns über Musik sprechen.«
Seine Hand umfaßte die ihre. Er lachte. Vorigen Monat habe er ein Konzert besucht, bei dem eine Sinfonie von einem neuen, noch nahezu unbekannten Komponisten gespielt worden sei, der als Kapellmeister bei einem ungarischen Fürsten arbeite, sagte Palliser. Haydn. Noch nie habe er so etwas gehört: frisch, einfallsreich, fröhlich und zugleich mit einem unerhörten Tiefgang. »Das wäre etwas für dich gewesen, Elizabeth. Und für Nat.«
Es war Zeit, die Tafel aufzuheben. Man erwartete, daß die Damen eine Weile zusammen im Salon verbrachten, während die Herren ihren Diskurs bei Portwein und Rauchwaren fortsetzten. Sollte sie mit Palliser über Nat sprechen, ihn um Rat bitten? Würde er ihre Sorge verstehen? Nein, das konnte sie nicht machen. Jetzt war James da. Jetzt hatte sie ausschließlich mit ihm zu sprechen. Es wäre auch einerlei, für Palliser war die See genauso unausweichlich wie für James.
Sie lüpfte ihren taftseidenen Rock und verließ den Speisesaal.
Regenböen peitschten gegen die kleinen Scheiben des Zimmers, in dem der Tisch stand. Schon früh am Morgen mußte jetzt die Lampe angemacht werden, und den ganzen Tag hingen dunkelgraue Wolken über London. Wintergemüse sollten sie jetzt essen, James sprach mit Heimweh davon, er hatte nach Wintermöhren und Rosenkohl gelechzt. Elizabeth ekelte sich vor dem leichten Schwefelgeruch des Kohls, und sie überließ das Kochen gern dem Mädchen.
Sie machte sich
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