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Letzte Reise

Letzte Reise

Titel: Letzte Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Enquist
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wollte aufstampfen, schreien, davonrennen, doch sie drehte sich langsam um die eigene Achse, bis sie direkt vor ihm stand. »Gut«, sagte er. »Schön. Wir essen morgen mit Sandwich. Zieh es an!«
    Sie tat es und war sich den ganzen Abend ihres feurigen Oberkörpers bewußt. Es war, als könne sie bei solchen Gesellschaften nur halb anwesend sein. Sie dachte an Nat, der zu Hause mit ihrer Mutter kaltes Fleisch und Suppe aß. Sie lauschte den Gesprächen über Schiffbau und königliche Subventionen und sah mit Wohlgefallen, wie andächtig ein jeder zuhörte, wenn James das Wort ergriff. Sie selbst sprach kaum, weniger aus Verlegenheit, denn weil sie ihre Aufmerksamkeit dafür benötigte zu beobachten, was um den Tisch herum geschah. Die Weite der Welt hängt über unseren Köpfen, dachte sie. Schiffe, die sich einen Weg um den gesamten Erdball suchen, unbegrenzte Möglichkeiten, man kann ein gerade entdecktes Land beziehen wie ein neues Haus, Gewächse und Schiffbautechniken austauschen, nichts ist zu weit und zu fremd. Sie sah es, kam aber nicht näher heran, dazu war sie sich zu sehr ihres Kerns bewußt, des neuen Kindes, das unter ihrem taftseidenen Kleid wuchs.
    Hugh Palliser hatte sich neben sie gesetzt. Vorsichtig rieb er kurz über den exotischen Stoff, der ihren Oberarm umspannte, und lächelte.
    »Du hältst James in Atem«, sagte er. »Er scheint gar keine Zeit für seine Berateraufgaben zu haben. Ich versuche ihn schon seit Wochen mit auf die Werft zu bekommen, ich möchte, daß er sich die Resolution einmal gründlich anschaut und sich zum Umfang der Reparaturen äußert, doch immer führt er Verpflichtungen in der Stadt an. Was treibt ihr denn nur?«
    Ihr Arm prickelte noch vom Druck seiner Finger, sie hörte kaum, was er sagte, registrierte aber den Lärm der allgemeinen Unterhaltung, in dem sie beide beisammen waren wie im ruhigen Zentrum einer Windhose.
    »Ich bin schwanger«, sagte sie.
    Er hob sein Glas und prostete ihr zu. Es war absolut unpassend, ihm eine solche Intimität anzuvertrauen. Sie errötete. Beide blickten sie zu James, der auf der anderen Tischseite in ein Gespräch mit Stephens verwickelt war.
    »Warum ist James nicht Mitglied der Akademie?« fragte sie.
    »Das wird er«, sagte Palliser. »Auch wenn er keinen akademischen Grad besitzt, werden sie stolz sein, wenn er einer der Ihren wird. Ich hörte, daß eine Sitzung stattgefunden hat, sie haben sich mit ihm befaßt. Es ist eine Petition in Arbeit, in der einige prominente Mitglieder ihn vorschlagen. Keine Sorge, er bekommt die Anerkennung, die er verdient. Es wird alles gut.«
    Auf der anderen Tischseite ging es um Eis. Sie hörte James erzählen, daß er immer gedacht habe, nur Süßwasser könne gefrieren. Die riesigen Eisinseln, auf die er im Südpolgebiet gestoßen sei, müßten also Bruchstücke von Gletschern oder Flüssen sein. Und wo Eis sei, könne Land nicht fern sein.
    »Unsinn! Quatsch! Ihre Argumentation ist untauglich«, krähte der alte Forster von seinem Platz am Kopf des Tisches aus. James ignorierte den Wissenschaftler und sprach weiter. Er habe die Temperatur des Meerwassers gemessen: Unter Null, und doch sei das Wasser flüssig gewesen. Bei strenger Kälte sei das gestapelte Packeis jedoch so rasch und in solchen Massen aufgetaucht, daß seine etwaige Herkunft von Land undenkbar sei. Es müsse so sein, daß auch Salzwasser gefriere, wenn es nur kalt genug werde. Vielleicht brauche es zunächst irgend etwas, woran sich das Eis anheften könne, einen treibenden Baumstamm oder einen Walfischkadaver, aber daß es Meereseis gebe, sei unbestreitbar.
    »Das habe ich von jeher behauptet«, rief Forster. »Aber natürlich hat keiner zugehört.«
    »Aber das Salz«, sagte James, »wo bleibt das Salz? Wir dachten zuerst, es würde ins Eis aufgenommen, doch als wir einen Eisklumpen aus dem Meer schmelzen ließen, wurde das reinste Süßwasser daraus.«
    Sei es also doch ein ausgestoßener Block gefrorenen Flußwassers? Das könne nicht sein, in keinem einzigen Eisblock habe man je etwas gefunden, das von Land zu stammen schien: Erde, Zweige, Gras. Nie.
    Forster schnaubte verächtlich. Er war mager und von kleinem Wuchs, aß jedoch Unmengen und ließ sich mehrmals nachlegen.
    »Wir haben so allerdings eine neue Möglichkeit der Wasserbevorratung entdeckt«, sagte James, der keine Zeit hatte, seinen Teller zu leeren. »Wir nahmen die treibenden Eisberge an Bord. Wir zogen sie, wenn es einmal geglückt war, ein Tau darum zu

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