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Letzte Reise

Letzte Reise

Titel: Letzte Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Enquist
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das er habe kaufen lassen, sei zwar ordentlich, sagte er, es müsse nur noch mit einem dritten Mast und einigen anderen Dingen ausgestattet werden, ich weiß nicht mehr, was, aber der Zustand der Resolution habe ihn erschreckt. In den sechs Monaten, die sein Lieblingsschiff dort, im Dock gelegen hat, ist bitterwenig geschehen. Er macht sich Vorwürfe, er hätte den Zimmerleuten und Reepschlägern auf die Finger sehen müssen. Ich fragte ihn, wie Palliser darüber denke, der ist nämlich verantwortlich und hätte den Verlauf der Reparaturen überwachen müssen. James sagte nicht viel dazu. Ich bekam den Eindruck, daß sie sich gestritten hatten. Aber das dürfte nicht lange anhalten, denn die beiden haben so vieles gemein. Das einzige, worin sie sich meiner Meinung nach wirklich unterscheiden, ist, wie soll ich sagen, der Umgang mit Höher gestellten. James scheint dabei immer auf der Hut zu sein und hat das Gefühl, sich beweisen zu müssen. Hugh Palliser ist das ganz einerlei, der tut, was er für richtig hält, und schert sich nicht darum, was andere davon halten. Ich habe ihn in letzter Zeit häufig gesehen, er ist eine große Stütze für mich.
    Das Wetter ist unfreundlich. Nasser Schnee und böiger Wind. Ich habe Strohgarben um die exotischen Pflanzen stellen  lassen, der Garten sieht jetzt so aus, wie ich mir ein Indianerdorf vorstelle. Bei Elly blüht nichts. Ich habe einen Kranz aus Tannenzweigen und Stechpalme für ihr Grab gebunden. Jetzt kommt James nach Hause. Er läßt Dich grüßen. Schreib mir recht bald wieder! Und sei geküßt von Deiner Freundin Elizabeth.
    Jetzt, da der Tisch leer war, könnte sie sich an die Weste für James machen. Sie öffnete die Kiste, die in einer Ecke des Zimmers stand, und hob vorsichtig den schweren Stoff heraus. Das Gewebe war mit nichts zu vergleichen, was sie sonst kannte. Es fühlte sich weich an, war aber so widerständig, daß man nur mühsam mit der Schere hindurchkam, wie sie von der Näherin wußte, die ihr tahitianisches Kleid geschneidert hatte. Die Weste wollte sie selber nähen, sie sah sich schon mit dem dunkelroten Stoff auf dem Schoß auf einem Stuhl am Fenster sitzen. Die Farbe war so intensiv, so tief, daß ihr schwindlig wurde, wenn sie lange daraufschaute. Ein Futter aus silberfarbener Seide würde gut dazu passen. Die Knopflöcher könnte sie mit Silbergarn umsäumen. Silberne Knöpfe, mit Steg angenäht. Sie breitete den Stoff auf dem Tisch aus und schaute, wie die Teile der Weste aus der rechteckigen Bahn geschnitten werden mußten. Denk an den Fadenlauf. Eine silberne Stickerei auf die Taschen? Oder würde die das überwältigende Rot beeinträchtigen? Erst einmal mußte sie die richtigen Maße haben, über die Verzierungen konnte sie später noch entscheiden.
    Sie fand das Maßband im Nähkasten und ging in die Küche, wo James mit Bleistift und Papier am Fenster saß.
    »Reparaturen!« sagte er. »Nicht zu fassen, wie wenig sie gemacht haben. Und was sie gemacht haben, taugt nichts. Ein Verbrechen, so ein prachtvolles Schiff verwahrlosen zu lassen. Korruption auch, glaube ich, denn sie erhalten gutes Material. Davon habe ich auf dem Schiff nichts wiedergefunden, womöglich verkaufen sie es, schmuggeln es vom Werftgelände und ersetzen es durch Gelump. Ein Skandal. Ich müßte jeden Tag dorthin, aber wo um Himmels willen soll ich die Zeit hernehmen? Alle naselang kommen Hefte von Douglas zurück, die ich durchsehen und verbessern muß! Soll er es doch selbst machen, das ist doch sein Beruf!«
    »Stell dich bitte mal hin«, sagte Elizabeth. »Ich möchte deine neuen Maße haben.«
    Er fragte nicht, warum, leistete ihrer Bitte einfach Folge. Stocksteif stand er vor ihr, und ihr war, als spürte sie die Wogen der unterdrückten Wut, die von ihm ausgingen. Er schwieg und atmete oberflächlich.
    Der Brustumfang an der breitesten und der schmälsten Stelle. Schulterbreite. Vom Nacken bis zur Taille. Von der Taille bis zur Achselhöhle. Nach jeder Messung beugte sie sich, das Maßband zwischen den Zähnen, über den Küchentisch und notierte das Ergebnis auf einem Blatt Papier.
    »Fertig. Das genügt.«
    Er marschierte vor dem Fenster auf und ab, die Hände auf dem Rücken verschränkt.
    »Der Vortrag vor der Akademie, über den müßte ich jetzt nachdenken. Der ist wichtig. Ich komme zu nichts; all diese Verpflichtungen, all diese Informationen, die in einem fort eingehen und eine Reaktion verlangen. Ich überschaue das nicht mehr, hier, es entgleitet

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