Letzte Reise
mir, ich bin dem ausgeliefert, was um mich herum geschieht, und es hat gar keinen Sinn, Pläne zu machen oder das Ganze steuern zu wollen. Es kommt immer etwas dazwischen, es nimmt immer wieder eine andere Richtung. Forster zum Beispiel, der sich nur querlegt und alles verzögert – ich sehe zu, aber ich kann nichts dagegen ausrichten. An Bord würde ich ihn zur Ordnung rufen. Dann wäre Schluß mit dem arroganten Gehabe.«
Sie nahm den Zettel mit den Maßen und ging zur Tür. Er fragt nicht einmal, was ich vorhabe, dachte sie. Es ist ihm zuviel. An seinem soeben vermessenen Körper vorbei sah sie draußen die Strohgarben im Schnee stehen. Es sah lächerlich aus.
»Das neue Schiff ist in einem guten Zustand«, begann er wieder, »aber diese ganze elende Expedition wird warten müssen, bis die Resolution instand gesetzt ist. Und keiner macht etwas, bevor ich nicht gesagt habe, was zu geschehen hat. Was bekommt Omai mit, und wieviel Raum nehmen die Sachen ein? Wie viele Wissenschaftler wollen sie mitnehmen? Wieviel Proviant, wie viele Kanonen, wie viele Marinesoldaten? Es geschieht rein gar nichts, und bald ist es zu spät, um noch mit einer gewissen Aussicht auf Erfolg auslaufen zu können. Dann müssen sie ein weiteres Jahr warten!«
Er hätte beinahe aufgestampft, wandelte die Bewegung aber im letzten Moment in einen Schritt um.
»Diese Sendung von Douglas lasse ich jetzt liegen«, sagte er. »Ich schaue erst mal, ob ich Palliser im Kaffeehaus finde.«
Er verließ das Haus, ohne sie noch einmal anzusehen. Mit dem Maßband in der Hand ging sie in die Stube, wo der tiefrote Stoff strahlte. Sie maß in dem Rot seinen Brustkasten aus und zeichnete mit Kreide vorsichtig die Punkte ein, an denen die Schere entlangfahren mußte. Sie zögerte, tatsächlich mit dem Schneiden zu beginnen, und legte den Stoff wieder zusammen. Besser noch kurz darüber nachdenken, bis morgen warten, bis zu einem Tag mit geringeren Hindernissen. Den Zettel mit seinen Maßen barg sie sorgsam in den roten Falten.
Am nächsten Tag schlug das Wetter um. Binnen weniger Stunden schmolz die dünne Schneeschicht. Elizabeth war nach einem Spaziergang, und sie trat vor die Tür, um sich den Straßenzustand anzusehen. Pfützen, Matsch, Schmutz. Ein Fuhrwerk wühlte sich durch die aufgeweichte Erde und kam direkt vor ihr zum Stehen. Hugh Palliser ließ sich vom Kutscher heraushelfen. Als sein schlimmes Bein den Boden berührte, verzog sich sein Gesicht einen Augenblick vor Schmerz, dann schritt er entschlossen auf Elizabeth zu.
»James ist nicht zu Hause«, sagte sie. »Er ist zum Graveur gegangen, um sich die Illustrationen anzusehen.«
»Aber du bist da.« Er küßte sie auf die Wange und ging an ihrer Seite ins Haus. Im Flur wurde ihr schwindlig, und sie suchte Halt an der Wand. Er zog umständlich seinen Mantel aus und rieb die kalten Hände.
»Port!« sagte er. »Oder Madeira. Ich weiß, daß welcher da ist. James hat noch einen kleinen Vorrat von der Resolution.«
In der Küche bekam sie sich wieder in die Gewalt, konnte mit Gläsern und Flaschen hantieren. Palliser ließ sich an einer Ecke des Tisches nieder und fragte, ob er sein Bein auf einen Stuhl legen dürfe.
»Hast du Schmerzen?«
Er nickte kurz. »Bei diesem Wetter. Feuchtigkeit. Wenn es friert, ist es besser. Im Sommer auch. Aber ich bin daran gewöhnt. Es ist nichts.«
Schließlich mußte sie sich doch hinsetzen, ihm schräg gegenüber, und säulengleich ragte die Stille über dem Tisch auf. Elizabeth suchte angespannt nach Gesprächsthemen, doch ihr fiel nur Konfliktträchtiges ein. Er trank. Er schwieg.
Nach einer Weile merkte sie, daß es eigentlich gar nicht unangenehm war, dieses stille Beisammensein. Es wurde nichts verlangt. Was sie ihm sagen oder ihn fragen wollte, hatte Zeit. Er sah sie ruhig an und drängte zu nichts. Sie atmete tief aus und hob ihr Glas. Sie lächelten einander an und begannen gleichzeitig zu sprechen.
»Wann –«, sagte er.
»Wie –«, setzte sie an.
Sie nahmen einen zweiten Anlauf, und er erkundigte sich nach dem voraussichtlichen Geburtsdatum des Kindes. Irgendwann im Mai, hatte sie ausgerechnet, wenn der ganze Garten in Blüte stehen würde.
»Ich kann es mir jetzt nicht vorstellen«, sagte sie. »Alles wird dann anders sein. James wird dasein. Er hat noch keines seiner Kinder aus der Taufe gehoben. Oder zu Grabe getragen.«
Palliser schüttelte den Kopf. »Es kann auch gutgehen, Elizabeth. Zwei Jungen hast du behalten. Die sind noch
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