Letzte Reise
ertragen. Auch deshalb bin ich häufig fort. Nicht schön, aber so ist es.«
»Schlimm für dich«, sagte sie. »Was für ein aussichtsloser Zustand. Wie soll das weitergehen?«
»Es wird gehen, wie es geht«, sagte er dezidiert. »Die Situation ist schon seit Jahren stabil. Solange ich meine Tätigkeiten habe, halte ich das schon durch. Nur manchmal überkommt es mich, da bedaure ich, daß mein Leben nicht anders verlaufen ist, da sehne ich mich nach einem Neubeginn. Altmännerkummer! Ich bin froh, daß ich dich hin und wieder besuchen kann, froh, daß James wieder da ist, froh, daß ich Zeuge eures Familienlebens sein kann. Nein, ich möchte nicht klagen. Ich wollte, ich könnte ein Stück mit dir laufen, aber mein Bein will heute nicht.«
Es begann dunkel zu werden. Sie blieben am Tisch sitzen, ohne Licht zu machen.
»Sieh dir das an«, sagte James. Er hielt einen Stapel Hefte hoch. Einige lose Zettel mit Anmerkungen fielen heraus. »Er erwartet, daß ich das jetzt alles noch mal durchsehe und kommentiere. So wird es nie fertig. Er sagt, die Leser werden am Verhalten meiner Männer Anstoß nehmen. Unsittlichem Verhalten, sagt er. Ob ich das überall streichen könnte. Ich dachte, das hätte ich schon getan. Woher soll ich wissen, was er unsittlich findet?«
»Schreib ihm einen Brief«, sagte sie. »Wenn es dir wirklich einerlei ist, laß ihn doch entscheiden, was stehenbleibt und was nicht.«
James hob die hinuntergeflatterten Zettel auf und ordnete sie zu einem kleinen Stapel.
»Ich möchte eine möglichst getreue Beschreibung«, sagte er. »Die Insulaner verhalten sich anders als wir. Bei uns würde man das, was sie tun, als schamlos und ungezügelt bezeichnen. Aber sind die Insulaner selbst auch dieser Meinung? Nein, das sind sie nicht. Sie haben ihre eigenen Sitten. Deren Bedeutung kennen wir nicht, und weil uns die nackten Körper und die öffentlichen Intimitäten erschrecken, denken wir nicht nach und rufen: unsittlich! Muß man deshalb die Beschreibung dessen, was wir gesehen haben, aus dem Journal streichen? Ich würde lieber alles so stehenlassen, wie es jetzt dasteht. Aber es ist kein wissenschaftlicher Bericht für die Akademie, sondern ein Buch zur Unterhaltung der Leserschaft. Da muß ich mich, glaube ich, anpassen. Die Einwohner Tahitis kopulierten in aller Öffentlichkeit; ich sah einen alten Mann mit einem jungen Mädchen, einem Kind noch, würden wir sagen. Die Menschen standen im Kreis darum herum und riefen Ermunterungen, Anleitungen, Kommentare. Welchen Eindruck macht das auf die Leser hier? Wie soll ich das wissen? Das Kind schien es nicht schlimm zu finden, im Gegenteil. Droht mir ein Prozeß, wenn ich das niederschreibe? Und denk mal an die Frauen meiner Besatzungsmitglieder. Ich brauche zwar keine Namen zu nennen, aber Zank und Streit wird es trotzdem geben. Ich lasse alles streichen.«
Er warf die Hefte mit einem Knall auf den Tisch und marschierte wütend vor dem Fenster auf und ab.
»All diese Empfindlichkeiten. Regeln. Ich komme damit nicht zurecht. Sie müssen es mir erklären, und auch dann noch kenne ich mich nicht aus. Soll Douglas doch entscheiden. Ich lerne es nie, das ist eine Frage der Erziehung, denke ich, der Ausbildung, des Geldes. Ich misch mich da jetzt nicht mehr ein.«
Elizabeth wurde sich bewußt, daß sie ihn mit ihrem Vorschlag, Douglas die Regie zu überlassen, hatte provozieren wollen. Es war schmerzlich zu sehen, wie unsicher James wurde, wie schnell er bereit war, seinen eigenen Text zu zerstückeln und seiner Meinung Gewalt anzutun.
Mit einem Mal kochte sie vor Wut. Sie richtete sich auf und stellte die Füße auseinander. Mit erhobenem Kopf sah sie James an.
»Du sagst ihm ab. Es ist deine Reise, dein Buch. Ich sehe nicht ein, wieso du dich an die Regeln anpassen solltest, die hier zufällig gelten. Wieso veränderst du die Regeln nicht, indem du an deinen eigenen Kriterien festhältst? Bist du etwa geringer als Douglas? Sandwich? Banks? Du bist doch kein Laufbursche der Admiralität! Du bist der Chef. Du hast die Entdeckungen gemacht, du gibst den Ton an. Ich verstehe deine untertänige Haltung nicht.«
Sie sah ihn vor ihren Augen einsinken, als verlören seine Muskeln plötzlich die Spannung. Ein alter Mann stand dort und schob linkisch Schriftstücke herum. Krummer Rücken, hängende Schultern. Abgewandtes Gesicht.
»Mir gefällt es auch nicht, daß deine Matrosen überall die Hosen runterlassen. Ich schäme mich gegenüber ihren Frauen. Ich
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