Letzte Reise
geniere mich, daß du das nicht unterbinden kannst. Ich finde, es ist eine Schande, daß sie Krankheit und Krätze verbreiten, deine Männer. Manchmal habe ich Angst, daß du auch schwach wirst und dir eine Prinzessin anbieten läßt. Das ist alles wahr. Aber wir hatten ein Übereinkommen, James. Wir wollten uns keinen Konventionen beugen, nichts glauben, was wir nicht mit eigenen Augen sehen können, die Tatsachen würdigen. Du bist bereit, diese Tatsachen zu streichen. Du verstößt gegen unser Übereinkommen. Das darfst du nicht tun. Ich möchte, daß du dich für uns entscheidest und nicht für das, was deine Auftraggeber zufällig für Anstand halten.«
Sie brach abrupt ab, erschrocken über ihre eigene Heftigkeit. Die Stille lastete unbehaglich. Elizabeth wollte in die Küche gehen, um gewöhnliche, alltägliche Dinge zu tun. Doch sie blieb stehen.
»Du hast recht.« Seine Stimme klang heiser und schwach. »Du hast vollkommen recht. Aber du verstehst das nicht. An Bord bestimme ich die Regeln, da kenne ich keine Unsicherheit, die sich nicht beheben ließe. Hier, in der Stadt, ist es anders, Elizabeth. Wenn ich mich hier behaupten will, werde ich ihre Regeln akzeptieren müssen. Und kennen müssen. Du weißt gar nicht, wie schwer das ist. Welche Perücke ich zu einem Empfang aufsetzen muß, weiß ich schon, doch was ich sagen soll, wenn es nicht um Wind und Gezeiten geht, weiß ich nicht.
Aber recht hast du. Ich sollte mein Buch so schreiben, wie ich es möchte, ohne Konzessionen an den guten Geschmack oder den Anstand. Wenn nur ein einziger Leser dadurch zum Nachdenken angeregt wird, statt empört oder wollüstig zu sein, wäre ich schon zufrieden. Nur ein einziger.
Ich esse heute abend nicht zu Hause. Sandwich und ich dinieren drüben bei Stephens. Hugh Palliser kommt auch. Wir müssen Beschlüsse über die Expedition fassen. Es wird wohl spät werden.«
Sie folgte ihm in den Flur und sah zu, wie er sich zum Gehen bereit machte. Hut, Mantel, Stiefel. Der ratlose Autor verwandelte sich binnen weniger Augenblicke in einen selbstbewußten Kapitän. Sie fröstelte. Es war eiskalt.
Er zog sie an sich und schlug die Mantelschöße um sie. »Du hast recht«, sagte er abermals. »Du bist klug. Ich werde gründlich über deine Worte nachdenken.«
Dann klopfte der Junge, der ihn hinüberrudern würde, an die Tür. Sie schaute ihnen nach, sah, wie James sich zu dem Jungen hinabbeugte, hörte ihre Stimmen verhallen, als sie auf dem Pfad zum Fluß liefen. Eisiger Nebel über der Stadt, dachte sie, es ist der neunte Januar, und die Stadt ist mit Nebel zugedeckt.
Sie schloß die Tür.
6
In der zweiten Januarhälfte wurde es bitterkalt. Der Fluß fror zu, doch aufgrund seiner Strömungen war es gefährlich, das Eis zu betreten. Eisschollen, groß wie Tischplatten, rieben sich aneinander, froren an den Rändern zusammen, lösten sich aber wieder, wenn das Wasser darunter keinen Halt mehr bot. Längs den Ufern war das Eis stabiler, dort saßen Jungen und angelten mit Schnüren, die sie durch ein Loch auf den Grund sinken ließen. Die Äste der Bäume hingen schwer vom Reif nach unten herab, und die Straße war eine Wüstenei aus gefrorenen Furchen, die die Kutschen ins Holpern und Schlittern brachten.
Es war unmöglich, das Haus frostfrei zu halten. Das Kaminfeuer in der Stube loderte den ganzen Tag, und dennoch wuchsen Eisblumen auf den Scheiben. Das Wasser, das in einer Kanne auf dem Tisch stehengeblieben war, fror und ließ den Krug zerbersten. Man sah es nicht, und doch wurde am hellichten Tag alles von der Kälte zerstört.
In der Küche war die Temperatur einigermaßen erträglich, weil der große Herd gefeuert wurde, was das Zeug hielt. Ganze Baumstämme verschwanden nach und nach in der bescheidenen Herdklappe, so daß die Luft über der Kochplatte flimmerte.
Nats Notenständer stand direkt neben dem Herd. James saß mit seinen Aufzeichnungen und Atlanten am Küchentisch. Elizabeth, die sich nach langem Warten ein Herz gefaßt und den Stoff aus Tahiti zugeschnitten hatte, saß dem Herd zugewandt auf einem Stuhl und nähte die Rückenteile der Weste aneinander. Draußen blies ein eisiger Sturm, drinnen tosten die eingesperrten Flammen.
Nat kam mit seinem Geigenkasten unter dem Arm herein. Er hatte sich einen alten Hut von James über die Ohren gezogen, sein Gesicht war blau vor Kälte. Er wollte die Geige auf den Tisch legen, erschrak aber, als James aufschaute, und trug den Kasten zur Anrichte. Seine
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