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Letzte Reise

Letzte Reise

Titel: Letzte Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Enquist
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Hände waren rot und aufgequollen.
    »Warum hast du keine Handschuhe an?« fragte Elizabeth. Nat warf den albernen Hut in eine Ecke.
    »Bei Hartland liegengelassen. Ich habe kein Gefühl mehr in den Fingern!«
    Elizabeth zog einen Topf Wasser von der Herdplatte und prüfte die Temperatur. Lau.
    »Tauch hier mal kurz die Hände hinein, dann ist es gleich vorüber.« Der Junge streifte die Ärmel hoch und streckte die Hände bis über die Handgelenke ins Wasser. So blieb er stehen, schweigend.
    Der Abstand zwischen den drei Personen in der Küche betrug nicht mehr als einen knappen Meter. Alle waren darum bemüht, sich in ihre jeweiligen Verrichtungen zu vertiefen. James zog mit Bleistift Linien auf einer Karte, Nat bewegte langsam die Hände in dem Topf, Elizabeth trieb die Nadel durch den störrischen Stoff.
    Nach dem Diner mit Sandwich, Stephens und Palliser war James erst gegen Morgen nach Hause gekommen. Elizabeth erwachte aus unruhigem Schlaf, als er sich zu ihr ins Bett legte. Sein nach Alkohol stinkender Atem verursachte ihr Übelkeit, und sie hatte sich so weit wie möglich von ihm weggedreht. Am nächsten Morgen war er im Bett liegengeblieben, und sie hatte ihn erst wieder gesehen, als sie von ihrem Spaziergang zurückkam. Nach ihrem Besuch bei Elly war sie auf dem Markt gewesen; viel zuviel hatte sie eingekauft, sie lud alles auf der Anrichte ab und begann, die Lebensmittel zu ordnen und zu verstauen. Ich werde ihn nicht fragen, wie es war, dachte sie. Es ist alles in Ordnung. Ich koche Suppe.
    James hatte reglos in einer Ecke der Küche gestanden und ihr auf den Rücken geschaut. Ein paarmal räusperte er sich, und sie erwartete, daß er etwas sagen würde. Aber es war still geblieben.
    Die Tage verstrichen, erfüllt vom Kampf gegen den Frost. James schien viel zu tun zu haben und ging jeden Tag aus dem Haus. Er fand keine Gelegenheit, ihr von dem Essen und dem Grund für seine Trunkenheit zu erzählen. Allmählich legte sich ihre Neugierde, und ihre Beunruhigung ebbte ab. Zwar fand sie ihn verschlossen und abwesend, doch das führte sie darauf zurück, daß er sich gedanklich mit dem Vortrag vor der Akademie befaßte, den er vorbereitete. Die Kälte verlieh allem etwas Unwirkliches, Zugedecktes, und das schien sich auch darauf zu übertragen, wie sie in ihrer kleinen Familie miteinander umgingen. Sie sah Nat mit blassem Gesicht vorübergehen und wußte nicht, was sie sagen sollte, um ihn zu erreichen. Sie wollte James etwas fragen, aber er war schon fort, bevor sie einen Satz formulieren konnte. Das Kind in ihr wuchs unverkennbar, es bewegte sich, es machte sich bemerkbar, doch auch für ihren schwellenden Bauch empfand sie ein vornehmlich distanziertes Interesse.
    An einem klaren, sonnigen Morgen ging sie nach draußen, weil die stickige Küche sie beklemmte. Das Eis auf Straßen und Wegen war inzwischen mit Sand und Schmutz bedeckt, so daß sie keine Angst vor einem Sturz zu haben brauchte und kräftig ausschreiten konnte. Der Laufrhythmus befreite sie von der sonderbaren Gleichgültigkeit, sie begann Beine und Wangen zu fühlen, und es war, als kehre sie zwischen Weiden und Feldern wieder in sich selbst zurück. Lösungen, dachte sie, Probleme müssen gelöst werden. Sein Vortrag muß fertiggestellt, die Fehde mit diesem komischen Forster beendet und das Buch abgeschlossen werden, egal wie.
    Nach ihrem Gespräch über die Streichung der anstößigen Passagen war sie davon überzeugt gewesen, daß James auf seinem Standpunkt bestehen und dem Druck, seine Beschreibungen anzupassen, nicht nachgeben würde. Doch als er am Morgen nach dem schweren Diner endlich aufgestanden war, schrieb er Douglas einen Brief, in dem er ihm freie Hand gab, alle Passagen zu entfernen, die gesittete Leser verärgern könnten.
    »Ich habe keine Zeit dafür«, sagte er. »Schau mal eben, ob ich viele Fehler gemacht habe. Muß ich ihn noch einmal schreiben?«
    Sie hatte den kurzen Brief gelesen; wie immer hatte seine übertriebene Schlußphrase ›Euer bescheidener Diener‹ sie böse gemacht. Auch war sie über seine Kapitulation erstaunt gewesen, sie hatte ihn fragen wollen, warum, warum jetzt dieser Entschluß, was hinderte ihn daran, die Regie über seine eigenen Texte zu behalten – aber irgend etwas hielt sie davon ab. Siegel, Postkutsche, fertig.
    Ohne es gemerkt zu haben, befand sie sich wieder auf dem Heimweg. Sie bog um die Ecke in ihre Straße ein und stieß beinahe mit Hugh Palliser zusammen. Er erschrak so heftig,

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