Letzte Reise
Sandwich umarmte ihn und dankte ihm für seinen Entschluß. Stephens schenkte noch Port ein, wir setzten uns alle vier wieder und sprachen noch stundenlang über die Expedition. So ist es gegangen. Wir haben James nicht unter Druck gesetzt, nicht überredet. Er will es selbst.«
In der Stille hörte sie einen Wagen auf der Straße. Der Kutscher schrie, das Hufgetrappel verstummte, und ein lauter Rums ließ darauf schließen, daß ein Faß ausgeladen wurde. Der Wirt öffnete die Tür, und ein Schwall eiskalter Luft wehte herein. Elizabeth blieb reglos sitzen, bis das Faß hinter die Theke gerollt, der Lieferant bezahlt und die Tür wieder geschlossen worden war. Palliser hatte sich über sein Bein gebeugt, das er mit beiden Händen massierte. Der Wein stand unangerührt auf dem Tisch.
Es war keine Überraschung, eigentlich hatte sie es immer gewußt. Jetzt erst gestand sie sich ein, daß es sie angestrengt hatte, ihn zu Hause zu halten. Sie hatte in diesem Herbst ihr Bestes gegeben, hatte genauestens darauf geachtet, was sie tat und was sie sagte. Sie hatte, als es zu frieren begann, Stroh um die tropischen Pflanzen drapiert. Sie hatte sich bei den Gesprächen über Nats Zukunft zurückgehalten. Sie hatte sich besonders hübsch angezogen, wenn sie ihn zu Diners und Empfängen begleitete. Sie hatte alles nur Erdenkliche getan, um es ihm recht zu machen, hatte ihn unbedingt verstehen wollen, auch wenn sie ihn nicht verstand, und hatte Tag für Tag gegen die Fremdheit und die Spannung ankämpfen müssen, die einfach nicht weichen wollten. Und jetzt, Erleichterung?
Sie holte tief Luft und fühlte, wie ihr Kind von innen gegen die Bauchwand trat. Sie lächelte. Dann wurde sie sich einer langsam anschwellenden, eisigen Wut gewahr.
»Du«, sagte sie, »du hast mir etwas versprochen. Von dir aus, ohne daß ich dich darum gebeten hätte. Du wolltest dafür sorgen, daß er nie wieder auszufahren braucht. Wir hatten Zweifel, weißt du noch? Zweifel hinsichtlich seiner Gesundheit, seiner Spannkraft, seines Vermögens, sich noch ein weiteres Mal auf eine so unmenschlich schwere Aufgabe vorzubereiten. Wir waren uns einig: Das würde nie wieder geschehen. Ich hatte blindes Vertrauen in unsere Abmachung. Ich habe auf dich gezählt.
Du sagst: Er will es selbst. Gewiß. Zweifellos. Du hast völlig recht. Natürlich will er. Die See ist sein Element. Er kann nichts anderes wollen, als in See zu stechen. Aber darum geht es nicht.
Du sagst: Wir haben ihn nicht gebeten, nicht überredet. Nein, gewiß nicht. Dafür seid ihr viel zu durchtrieben, viel zu diplomatisch und viel zu kultiviert. Geradewegs um etwas bitten, Gott bewahre! Die Admiralität bittet nicht. Sie befiehlt. Und wenn sich das nicht schickt, wählt sie einen anderen Weg. Nein, jemanden überreden ist viel zu gewöhnlich, viel zu gefährlich auch, denn damit gibt man seine Wünsche preis. Die Admiralität wünscht nicht. Sie fordert.
Du hast das geschickt angestellt. Meine Glückwünsche. Besser hättest du es dir nicht ausdenken können. Gierke zu empfehlen ist ein meisterlicher Schachzug. Du weißt, wie sehr James ihn mag. Und wie sehr James an ihm zweifelt. Hast du an diesen blödsinnigen Vortrag gedacht, den Clerke vor der Akademie gehalten hat, über die sogenannten Riesen in Patagonien, ohne daß er sie gesehen hatte? Das mußt du gewußt haben. Und du weißt auch, welchen Respekt James vor der Akademie hat. Hut ab!
Und dann diese subtile Anspielung auf den Wunsch des Königs. Ein Kunststück! Wie kann ein aus eigener Kraft aufgestiegener Mann die Wünsche des Königs unbeachtet lassen? Eines Königs, der ihn im Kampf um Harrisons Chronometer unterstützt hat, der lebhaftes Interesse an den Entdeckungen hat und ein Vermögen in das Unternehmen investiert?
Nein, du hast ihn nicht überredet. Du hast um nichts gebeten. Es ging ganz von selbst. Da wirst du aber überrascht gewesen sein.«
Mit einem Mal war ihr Feuer verraucht, ihre Wortflut erschöpft. Sie schlang das Umschlagtuch um ihre Schultern und zog ihre Haube zurecht. Dann stand sie auf. Palliser machte Anstalten, sich von seinem Stuhl zu erheben, aber sie bedeutete ihm, daß er sitzen bleiben könne. Einen Moment, einen zeitlosen Augenblick lang, schaute sie ihm direkt in die Augen. Enttäuschung? Verzweiflung? Verlangen?
Dann drehte sie sich um und verließ mit schnellem Schritt das Lokal. Die Tür knallte hinter ihrem kerzengeraden Rücken zu.
Sie streckte den Kopf zur Haustür hinein und rief ihn.
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