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Letzte Reise

Letzte Reise

Titel: Letzte Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Enquist
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sie gedacht, ich muß sie am Lebenswerk ihres Vaters teilhaben lassen, ich muß ihnen die verführerische See zeigen, ich muß die Keime legen, aus denen ihre Sehnsucht erwachsen wird. Jamie hatte der Anblick der Schiffe überwältigt. Er erhob sich auf die Zehenspitzen, um die frisch gestrichenen Spaken des Gangspills anzufassen, und ließ sich bei einer Rolle Ankertau entzückt auf die Knie nieder. Dann wieder rannte er aufgeregt über das Deck zu der Ziege, die unbehaglich mit den Hufen auf die Planken klopfte. Der kleine Nathaniel hatte nur Augen für die Musikanten. Da war ein Mann mit einem Dudelsack, ein anderer mit einer Trommel. Marinesoldaten in schmucken Uniformen. Der Trommler drehte sich um und nahm eine Geige aus einem Holzkasten zu seinen Füßen. Er zog den Bogen an und stimmte die Saiten. Dann begann er zu spielen.
    Atemlos stand der Junge da und lauschte. Beinahe unmerklich wiegte er seinen kleinen Körper im Takt des Tanzliedes. Der Dudelsackspieler fiel ein und breitete mit seinen durchdringenden Tönen einen festen Boden unter die quirlige Melodie. Es dauerte lange, und Nat lauschte. Elizabeth hatte die Szene aus einiger Entfernung beobachtet, unruhig und von einem vagen Kummer erfüllt. Ihr Mann empfing in der Kapitänskajüte bedeutende Gäste, ihre Söhne verliebten sich in verschiedene Aspekte der Welt, und sie fühlte unter ihrer Haut die Bewegungen eines neuen Kindes. Sie war zu Nathaniel hinübergegangen, und sie hatten dem Geiger Hand in Hand zugeschaut.
    Unvermittelt mußten die Gäste von Bord. Schiffssirene, knarrende Taue, laute Stimmen und Trommelwirbel. »Ich schreibe dir noch vom Kap aus«, versprach James, aufgeräumt, entschieden. Er hatte die Jungen an sich gedrückt, und alle murmelten die zu erwartenden Sätze: Gut auf Mama aufpassen, brav sein, bringst du uns Geschenke mit, eine Flöte, ein Äffchen, paß auf dich auf, ich schreib dir, solange es noch geht, vom Kap.
    Jenseits des Kaps gab es keinen Postdienst mehr. Jenseits des Kaps gab es eigentlich nichts. Jahrelang würde er durch dieses Nichts vagabundieren und dafür sorgen, daß es auf die Karte kam, einen Namen erhielt. Sie sah ihn an. Der Spannung in seinen Armen konnte sie entnehmen, daß er ungeduldig wurde. Auf diesem Schiff voll gesalzenem Fleisch, Wassertonnen, Kanonenkugeln, Sauerkrautfässern, Mehlsäcken, Sämereien, mit einer Schmiede, einer Bibliothek und einem Backofen wollte er in dieses nasse Nichts fahren. Jetzt.
    Er hatte nicht gesagt: Du bist meine Bake, auf dich halte ich zu, bis ich zu Hause bin. Das hatte sie auch nicht erwartet. Für ihn ging es um das Auslaufen. Sie würde von sich aus dafür sorgen, daß ein Zuhause bestehen blieb, egal wie, ein Zuhause, wohin er zurückkehren konnte. Sie hatte seine Hand genommen, die rechte, und hatte die weißliche Narbe geküßt. Einen Moment lang hatte er versonnen bei ihr gestanden, dann hatte er gelächelt und ihr vorsichtig über den Bauch gestreichelt.
    Sie sahen einander in die Augen und sagten nichts mehr. Jamie und Nat lehnten an Elizabeths Beinen. Sie hatte die Jungen bei der Hand genommen und war gegangen.
    Bevor sie die Laufplanke erreichte, wurde sie von einem hoch aufgeschossenen Jungen mit braunen Locken aufgehalten. »Ach, Isaac«, sagte sie, »ich wollte dich suchen, habe es aber wieder vergessen. Es geschieht zuviel.« Sie wußte nicht, was sie noch sagen sollte, befangen von einer eigentümlichen Verlegenheit. Der Junge, ihr Vetter, war neunzehn und hatte sich begeistert gemeldet, als er hörte, daß eine zweite Reise vorbereitet wurde. Er hegte uneingeschränkte Bewunderung für James, seit er als Leichtmatrose die erste Weltreise mitgemacht hatte und, mit James' Hand im Rücken, in Neu-Holland als erster den Fuß an Land setzte. Abendelang hatte er bei James und Elizabeth zu Hause gesessen und von den kommenden Abenteuern geredet. Sie hatte ein wenig darüber gelächelt, sie betrachtete ihn als Kind, und sein Enthusiasmus rührte sie. Jetzt schien er plötzlich größer geworden zu sein, ein junger Mann in Seemannskleidung, dem Heer der Getreuen um ihren Mann angeschlossen. Einer, der bewußt auszog. Er würde Landschaften sehen, die sie niemals zu sehen bekäme, was er erlebte, würde ihr nur in Bruchstücken zu Ohren kommen, und die Begeisterung, mit der er jedermann verließ, verstand sie nicht.
    Sie gab ihm einen Kuß. »Gib ein bißchen auf James acht, wenn du kannst«, sagte sie. Isaac nickte und winkte den Kindern.
    Die Jungen

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