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Letzte Reise

Letzte Reise

Titel: Letzte Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Enquist
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kann schon sechs Knoten. Ich hab gespielt, abends. Zweimal. Sie haben mitgesungen und getanzt, die Leute.«
    Sie lächelte und schaute auf die langen, spindeldürren Arme ihres Jungen, die schlapp zu beiden Seiten des mageren Leibs herabhingen.
    »Möchtest du das Kindchen mal sehen?«
    Nat sah sie forschend an und nickte kurz. Elizabeth stand auf, hielt sich einen Augenblick am Kopfende des Bettes fest, um das Gleichgewicht zu finden, ging dann zur Wiege und winkte ihrem Sohn.
    »Ein Junge. Ein Brüderchen. Ich dachte, wir würden ein Mädchen bekommen, aber es ist ein Junge geworden.«
    Nat blieb gerade stehen und blickte von oben auf das Baby herab. »Ist er krank? Er sieht ein bißchen blaß aus.«
    »Ich habe keine Milch für ihn. Oma holt eine Frau, die ihn stillen kann. Dann wird er sich erholen.«
    »Wie heißt er eigentlich?«
    Elizabeth setzte sich auf die Bettkante und zog Nat neben sich. »Hugh heißt er. Das hat sich dein Vater ausgedacht.«
    »Nach Kapitän Palliser?«
    »Ja. Findest du, daß der Name zu ihm paßt«
    Nat dachte einen Augenblick nach und schüttelte den Kopf.
    »Er sieht nicht aus wie ein Hugh. Er sieht aus, als heiße er Benny, finde ich.«
    Benny, Benjamin, dachte sie. Das jüngste Kind. Das letzte.
    »Möchtest du ihn kurz halten?«
    Nat stand schon an der 'Für. »Nein. Ich gehe mit Isaac Schiffe ansehen. Wo ist Papa eigentlich?«
    »Beim Maler. Er posiert. Für ein Porträt.«
    Nat nickte und ging.
    Mary kehrte mit einer in der Tat traurigen Frau zurück, die sich jedoch mit Begeisterung daranmachte, das Kind zu stillen. Es wurden Absprachen in bezug auf Zeit, Geld und Zugang zu Haus und Wiege getroffen. Elizabeth lehnte am Türrahmen und schaute auf die Amme, die ihr Kind an sich drückte. Die falsche Mutter mit dem falschen Kind. Sie zuckte die Achseln und ging in den Garten. So schnell wie möglich wollte sie wieder wie früher werden: hager, aufrecht, beherzt. Sie versuchte, die Schmerzen in ihrem noch wunden Unterleib zu ignorieren und die Bauchmuskeln anzuspannen. Jetzt, da die Versorgung des Kindes geregelt war, konnte sie eine Bestandsaufnahme von der aktuellen Situation machen. Womit beschäftigte sich James? Wie stand es um die Herausgabe des Reiseberichts? Wann würde sie mit dem Paten konfrontiert werden? Sie legte die Arme auf den Gartentisch und wandte sich der Sonne zu.
    Erst als ein Schatten über ihr Gesicht fiel, realisierte sie, daß sie leise Schritte gehört hatte. So geht es in der Wirklichkeit zu, dachte sie, daran muß ich mich gewöhnen. Zuerst jemanden kommen hören, dann die Person sehen. Nicht andersherum. Zuerst weggehen, dann nach Hause kommen. Zuerst das Kind sehen, dann einen Namen überlegen.
    James setzte sich ihr gegenüber. Blendend sah er aus, gekleidet in der vollen Pracht seines hohen Ranges. Goldene Knöpfe an seiner schneeweißen Hose, Manschetten, die wie weiße Blütentrauben aus den goldgeränderten Ärmeln quollen, und eine perfekt frisierte graue Perücke auf dem Kopf.
    »Wie mußtest du sitzen?«
    Er machte es vor: Die Beine etwas auseinander, die rechte Hand auf einer ausgebreiteten Karte ruhend, die er mit der linken an einer Ecke festhielt. Der Hut neben Karte und Hand auf dem Tisch. Der Blick wohlwollend-ernst auf einen Punkt etwas seitlich von der Sichtachse des Malers gerichtet. Von den elf goldenen Knöpfen der Weste waren an willkürlicher Stelle fünf nicht geschlossen.
    »Ein Staatsportrait«, sagte er, während er die Pose aufgab und Arme und Beine ausschüttelte. »Ich mußte stundenlang so sitzen bleiben. Und der Maler hat kein Wort gesagt. Nathaniel Dance. Er ist berühmt. Übermorgen muß ich wieder hin. Kein Ende in Sicht. Ich habe die ganze Zeit an Forster gedacht. Weißt du, daß Sandwich ihm aufgetragen hat, ein Probekapitel zu schreiben? Das hat er abgelehnt. Es ist völlig unklar, was jetzt geschehen wird. Womöglich haben wir nachher zwei nahezu identische Bücher in einem Band, denn er schreibt schließlich über dieselbe Reise wie ich. Das will Sandwich natürlich nicht. Wenn er Forster aber vor die Tür setzt, hat er gar nichts für das versprochene Honorar. Das ist ihm auch nicht recht. Jedenfalls ist Forster jetzt wütend, weil die Admiralität anzweifelt, daß er richtig Englisch schreiben kann. Ich hoffe, er zieht sich entrüstet zurück, das wäre die beste Lösung. Bevor ich abreise, möchte ich einen Vertrag mit dem Drucker gemacht haben, und dazu muß ich wissen, ob ich allein publiziere oder mit Forster

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