Letzte Reise
kocht. Ein Rückschlag nach dem anderen, als dürfe diese vermaledeite Expedition einfach nicht in Gang kommen. Wir können nicht länger warten, wir sind schon Monate im Verzug. Durch diesen Unfug verlieren wir ein ganzes Jahr!«
»Was willst du jetzt machen?« fragte sie. Die Frage hatte Bezug zur Alltagswirklichkeit. Gläubiger, die Macht der Admiralität, der Polarwinter. Die Wirklichkeit dahinter war nicht in Worte zu fassen. Was wirst du tatsächlich tun, wie soll es mit uns weitergehen? Wo liegen die Grenzen der Schauspielerei? Diese Fragen konnte sie nicht stellen.
»Ich reise morgen nach Chatham ab. Ich nehme Omai mit, der Ärmste ist schon ganz erschöpft vom Weinen, er nimmt seit Wochen Abschied und heult sich die Augen aus dem Kopf. Wir fahren nach Plymouth, und dort warte ich auf Clerke; Sandwich und Banks versuchen, ihn so schnell wie möglich freizubekommen. Sobald er eintrifft, segeln wir zum Kap.«
Morgen. Heute nacht die letzte Nacht. Wir segeln, sagt er. Oder segelt Gierke allein? Ist das morgen ein Abschied für zwei Wochen, drei Monate, vier Jahre?
»Was …«, setzte sie an. Ihre Stimme klang seltsam heiser und zögerlich, sie erschrak darüber. »Was hast du jetzt eigentlich vor, James?«
Er erstarrte, und sie sah, wie seine Schultern einsanken. Seine Arme fielen schlapp zu beiden Seiten des Körpers herunter, die weiße Narbe im rechten Handteller wurde bloßgestellt, wehrlos. Stille hing im Zimmer. Es dauerte.
»Eigentlich bin ich mir noch nicht im klaren«, sagte er schließlich. »Ich kann zurückkommen, wenn Gierke in Plymouth eintrifft. Oder ich kann ihm das Kommando am Kap übergeben, nachdem ich die Ankäufe für den König getätigt habe. Pferde, Ochsen, du weißt schon. Wenn das geschehen ist, könnte ich mit einem Kauffahrteischiff zurückkommen. Das wäre möglich. Ich erwäge das. Clerkes Verhaftung ist ein komplizierender Faktor. Er muß schleunigst freikommen, die Umstände dort sind abträglich, naß, kalt, man hält es nicht für möglich. Ich fürchte, daraus wird ein Prestigekampf zwischen den Instanzen. Vielleicht kann der König in eigener Person intervenieren. Eine Riesendummheit von Gierke, er hätte sich niemals in eine solche Lage bringen dürfen. Damit gefährdet er die gesamte Expedition. Und sich selbst. Unverantwortlich.«
Eine Antwort, dachte sie, damit ich weiß, worauf ich mich einstellen muß. Liege ich heute nacht zum letztenmal mit dir im Bett? Wirst du das Kind aufwachsen sehen? Kommst du jemals zur Ruhe zwischen Häusern und Straßen?
Sie bewegten sich in getrennten Welten, mochten sie sich auch noch so sehr anstrengen, einander zu erreichen. Sie verfolgten, was der andere tat, hielten von Zeit zu Zeit inne, um einander anzusehen und aufeinander zuzugehen, stießen aber auf einen unsichtbaren Zaun. Seit der Niederkunft gelang es ihr nicht mehr, bei James wahrhaft längsseits zu kommen, und jetzt, da der Moment der Abfahrt nahte, konnte er nicht mehr bei ihr verharren. Er berührte nochmals das Köpfchen des Kindes und schwieg. Sie lauschte seinen Tiraden nach und ließ ihre Gedanken abschweifen.
»Was soll ich Nat sagen?« sagte sie, mit einem Mal in Tränen aufgelöst. »Wir können ihn doch nicht anlügen, nicht behaupten, daß du in einigen Wochen wieder hier bist, wenn das nicht stimmt? Oder andersherum.«
Sie schluchzte laut auf und war außerstande, sich zu beherrschen. James schaute auf sie herab, wie sie da am Tisch saß und sich mit einem Taschentuch über Nase und Augen wischte; er schaute auf ihre zuckenden Schultern, holte schnell und tief Atem, als wolle er etwas sagen, drehte sich dann aber plötzlich um und lief aus dem Zimmer. Die Tür schlug zu.
Elizabeth weinte weiter. Die Leere zwischen ihnen bot Raum für unüberprüfbare Vermutungen. Sie nahm an, er sei davon überzeugt, daß sie eine viel zu intime Beziehung zu Hugh Palliser unterhielt, er könne das Bild von ihren ineinander verschlungenen Armen auf dem Tisch nicht aus seinen Gedanken verbannen. Hatte er nicht verstört auf die Tischplatte gestarrt? Vielleicht dachte er sogar, daß Palliser der Vater des Kindes sei, und die Tatsache, daß sie die Mutterschaft so schlecht ertrug, bestätigte ihn in dieser Vermutung. Er hatte das Kind nach Hugh Palliser benannt, um ihm mit seiner vermeintlichen Großmut seine Verachtung unter die Nase zu reiben. Er reiste aus Wut ab.
Ach, Unsinn. Er wurde zwischen Land und Meer zerrissen, so einfach war das. Palliser hatte nichts damit zu
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