Letzte Reise
sagte die Hebamme. »Wir brauchen den Platz hier.«
Elizabeth atmete flach. Ja, weg, dachte sie, scher dich fort, verschwinde, laß los. Diese schwere Hand auf meiner Stirn würde ich abschütteln, wenn ich die Kraft dazu hätte, diese Klammer um meinen Arm wegreißen, diese massive Gegenwart wegtreten. Alle wünschen sie das Kind heraus. Ich kann nicht mehr.
James' Rücken. Die Hebamme mit einem nassen Lappen, um ihr das Gesicht abzutupfen. Die grauen Zahnstümpfe in Mam Mund, fauliger Atem stieg ihr in die Nase, was sagt sie? Es geht wieder los, aber ich kann nicht.
Sie preßte, bis ihr die Augen aus dem Kopf quollen. Ihr Unterleib war ein Ozean flutender Schmerzen, die ihr den Atem abschnitten. Die Hebamme schrie. In der Flaute nach der Wehe schaute sie durch das Fenster. Es war schon dunkel. Sie hörte James unten auf und ab gehen. Das Kind würde Grace heißen, nach seiner Mutter.
»Es kommt so viel Blut«, sagte die Hebamme, die zwischen Elizabeths Beine gebeugt war. »Das geht so nicht. Sie muß mehr Kraft daransetzen.«
»Kann ich nicht«, flüsterte Elizabeth.
»Natürlich könnt Ihr das. Was hineingeht, kann auch wieder heraus. Es muß sein. Denkt an das Kind!«
Der Schmerz rollte heran wie eine haushohe Welle. Darin würde sie ertrinken. Na gut, dann mußte es wohl so sein. Niemand konnte sie retten. Die ganze Aufmerksamkeit galt dem Kind, dem Bauch, den Beinen. Hinterköpfe sah sie. Ja, sie mußten versuchen, das Kind zu retten. Und sie würde gespalten und zerstört zurückbleiben.
»Jetzt!« rief die Hebamme. »Durchhalten!« Sie warf sich auf Elizabeths Bauch und schob das Kind nach unten, während Elizabeth preßte, aussichtslos, zwecklos. Das Gesicht ihrer Mutter. Ein Glas. Alkoholgeruch. Der Gin lief ihr über das Kinn und den Hals hinab, sie leckte sich die Lippen, bekam noch einen Schluck, trank, Gift war das, Terpentin, reinstes Gift, aber was kümmerte es sie? Gras, fuhr es ihr durch den Sinn. Wie das Gras. Nachgeben unter der Wucht des Wassers, das gleichgültig daran entlangstreicht. Die Frauen zwangen ihre Beine hinauf, bis sie die Knie in den Ohren hatte. Sie dachte nicht mehr. Vorbei.
Die Stimmen kamen von ganz weit her. »Die Schultern«, sagte die Hebamme. »Ich drehe ihn, seht, ja, so, da kommt er! Reicht mir mal den Faden.«
»Ogottogott, was für ein Scheusal.« Marys Stimme, tief und rauh.
»Ein bißchen eingerissen.« Das war wieder die Hebamme. »Nicht so schlimm. Das heilt wieder. Zuerst das Kind. Einen Hieb auf den Podex muß er bekommen, wir bringen ihn zum Weinen, auf! Na, los!«
Das schwache Schreien eines Babys. Elizabeth atmete aus und begann leise zu weinen. Sie hörte die Frauen mit Schüsseln, Schere, Tüchern und Windeln hantieren. Sie ist da, dachte sie, sie lebt. Mein Mädchen. Jetzt wird alles gut.
Sie dämmerte kurz weg, kam aber wieder zu sich, als James die Treppe heraufrannte. Mary zeigte ihm das Kind, das schon abwaschen und gewickelt war, ein schmales Bündelchen Stoff mit zornig gerunzeltem Gesichtchen darüber.
Mit dem Kind im Arm setzte sich James zu ihr. Seine Hände sind viel zu groß, dachte sie, sieh doch, ihr ganzer kleiner Leib verschwindet unter einer Handfläche.
»Unser Sohn«, sagte James sanft. »Ich lege ihn zu dir.«
Sohn? Wovon redet er da? Das ist Grace, das ist meine Tochter, meine zweite Tochter. Sie ist verstimmt, auch sie hat unter der Geburt gelitten, sie muß sich jetzt an den Lärm gewöhnen, an das Licht, und deshalb schaut sie so böse, unser Mädchen. Er muß ihr Köpfchen stützen mit seinen Kohlenschaufeln. Gib her. Komm.
Sie schloß das Kind in die Arme und hielt die Nase an das verkniffene Gesichtchen. Ja, so roch ein frisch geborenes Kind. Nicht zu beschreiben, aber unfehlbar und mit Freuden wiederzuerkennen, um dann bis zum nächstenmal erneut vergessen zu werden. Sie schnupperte den reinen, unverdorbenen Atem des Kindes.
»Wir haben keinen Namen für ihn«, sagte James. »Er braucht einen Namen. Wir trinken auf seine Geburt.«
Sie hörte Glas klirren, Mary ging mit einem Tablett herum. Die Hebamme warf blutige Lappen in eine Ecke und ließ sich dann mit einem Glas in der Hand in einen Sessel fallen. Sie prostete Elizabeth zu. »Herzlichen Glückwunsch!« sagte sie. »Auf ein langes und glückliches Leben für Euer Söhnchen. Prosit!«
Keinen Namen? Söhnchen? Sie schaute zu James, der die Hand mit der Narbe um die Wange des Kindes legte und ihm mit dem Daumen eine Speichelspur wegwischte.
»Grace«, sagte
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