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Letzte Reise

Letzte Reise

Titel: Letzte Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Enquist
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zusammen.«
    Bevor er abreist, dachte sie. Bevor er angeblich abreist, denn er reist natürlich nicht ab, nicht wirklich. Er wird nach Plymouth oder Portsmouth fahren oder wie diese elenden Häfen heißen, er wird die Mannschaft mustern und die Takelage anbringen lassen, aber im letzten Moment läßt er sich von Clerke vertreten und steigt in die Postkutsche nach London. Und dann?
    In der Pose, die der Maler von ihm erbeten hatte, sah er wie ein kompetenter Herrscher aus. Ein Mann auf der Höhe seines Könnens, von einem ruhigen Selbstvertrauen strotzend, an dem niemand zweifeln konnte. Ein Mann, der auch dann nicht um Ansehen und Respekt zu fürchten brauchte, wenn er kurz vor seiner Abreise sagen würde, daß er es sich anders überlegt habe und das Kommando lieber seinem Kollegen übergebe. Aber welcher Mann würde dann, müde von der stundenlangen Schaukelei in der Postkutsche, zu ihr zurückkommen? Derselbe Herrscher? Der in die Enge getriebene Verfasser der Journale? Der aufbrausende Vertreter der Admiralität? Oder der hilflose, einsilbige Kranke, der sich Weihnachten in den Eimer übergab?
    »Banks«, sagte James. »Weißt du, daß ich bis zum Ende aller Tage bei Banks im großen Salon über dem Kaminsims hängen werde? Er bezahlt das Porträt, er hat es in Auftrag gegeben. Ich konnte es nicht ablehnen, obwohl es mir gar nicht gelegen kommt.«
    Was habe ich damit zu tun, dachte sie, worüber reden wir? Worüber reden wir nicht? Warum spreche ich nicht von mir aus die Dinge an, die besprochen werden müssen, warum sitze ich hier so feige herum und warte auf die schaurigen Worte: das Kind, die Abreise, der Pate. Ich lasse die Zeit verstreichen, sie füllt sich mit Larifari, bis zum Rand ist der Becher der Zeit mit Büchern, Bildern und Galauniformen gefüllt, und ich bin außerstande, etwas dagegen zu tun.
    »Die Admiralität spart das Gehalt für einen Astronomen ein, weil King mitkommt. Und weil ich meine Freude an der Sternkunde habe. Wir beide zusammen können sämtliche Berechnungen anstellen. Er kann genauso gut mit der Apparatur umgehen wie ich. Das macht zwei- bis dreihundert Pfund aus, weißt du das? Ich werde Sandwich vorschlagen, diesen Betrag oder zumindest den größten Teil davon dir zur Verfügung zu stellen. Das steht uns zu. Ich möchte, daß du dir um nichts Sorgen zu machen brauchst. Eine mehr als reichlich bemessene Apanage. Freier Zugang zu allen Vertretern der Admiralität, falls du einen Rat möchtest, zum Beispiel was die Jungen betrifft. Die Einnahmen von dem neuen Buch müssen direkt an dich fließen. Ich gehe zum Notar, es muß ein Testament aufgesetzt werden. Ich möchte dich offiziell ermächtigen, alle nötigen Entscheidungen zu treffen. Alles muß perfekt geregelt sein. Wie immer es auch kommen sollte.«
    Er hatte immer schneller und lauter gesprochen und erhob sich, als er bei dem Testament angelangt war. Eigentlich ist es kein Wunder, daß er sich nicht auf die häusliche Wirklichkeit einlassen kann, dachte sie, er hat so viele verschiedene und wichtige Angelegenheiten im Kopf. Pökelfleisch, Sauerkraut, Wissenschaft, morsches Tauwerk, königliche Kühe, Zeitpläne.
    Die Amme huschte durch den Garten; Elizabeth hatte das Tor nicht aufgehen hören, doch auf einmal bewegte sich der Schatten an den Mauern entlang. Die Frau war in Schwarz gekleidet, natürlich, sie trauert noch um ihr eigenes Kind, dachte sie, wie schrecklich, dann das Kind einer anderen stillen zu müssen. Wie kann sie nur?
    Die Frau nickte ihnen mit verschlossener Miene zu und ging in die Küche.
    »Mußt du nicht helfen«, fragte James, »oder macht sie alles selbst?«
    Das Baby schrie, das beunruhigende Geräusch war bis in den Garten zu hören. »Sie macht es selbst«, sagte Elizabeth.
    Sie gab sich alle Mühe, Anschluß an das Leben um sie herum zu finden, aber irgendwie schien es ihr immer wieder zu entgleiten. So intensiv sie auch James' Erzählungen über die Probleme mit dem Buch zuhörte – erhitzte Gespräche mit Sandwich, eine Besprechung beim Drucker, die beinah auf Vertragsbruch hinauslief, schwer zu deutende Briefe von Förster –, es entschwand ihrem Gedächtnis, sowie sie wieder allein war. Auf dem Fisch sah sie die Listen liegen, auf denen James genauestens notiert hatte, welche Güter geladen werden mußten, säuberlich in verschiedene Kategorien eingeteilt. Grundrisse der Räume an Bord, in die er Ziffern gezeichnet hatte, die den Ziffern auf der Liste entsprachen. Das hier ist wirklich,

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