Letzte Reise
tun. Oder doch? Er hatte versäumt, James davon abzuhalten. Jetzt ließ er ihn auf einem verwahrlosten Schiff in See stechen. Ein entschlossener Liebhaber entfernte seinen Rivalen, um sich endlich zu seiner Geliebten zu gesellen. Perfide nutzte er eine alte Freundschaft aus. Verrat, wohin man schaute, niemandem war zu trauen.
Das Schluchzen klang ab, und Elizabeth fing sich wieder. Es führte zu nichts, sich abstruse Geschichten auszudenken; was ihr da in den Sinn kam, glich ja schon einem Opernlibretto, so unwahrhaftig und unmöglich.
Als die Amme kam, zwang sich Elizabeth dabeizubleiben. Sie werkelte mit Leinzeug und schmutziger Wäsche herum, während das Kind an der Brust lag. Am liebsten hätte sie der Frau gegenüber Platz genommen, um sich die Szene in aller Ruhe anzusehen, aber das traute sie sich nicht. Es war eigenartig still im Zimmer, sie hörte das Kind saugen und schlucken. Die Amme sprach nicht; das ist sonderbar, dachte Elizabeth, man schwatzt doch mit einem Baby, man sagt: Warte, jetzt nehmen wir die andere Brust, na los, seh, du hast noch Hunger, du bekommst noch mehr. Doch die Amme schwieg, das Kind trank, und Elizabeth stand still in einer Ecke.
»Ich nehme ihn Euch ab«, sagte sie, als es vollbracht war. »Ihr könnt gehen.«
Die Frau reichte ihr das Kind, wobei sie sorgsam das Köpfchen stützte. »Er wächst gut«, sagte sie, »ich kann es fühlen.« Sie zog die schwarzen Fetzen, in die sie gekleidet war, fest um sich und verschwand.
Elizabeth setzte sich in den Sessel der Amme, das Kind auf den Knien. Die kleinen Füße drückten gegen ihren Bauch. Sie zog ihre Beine ein wenig an, und das Kind hob sich. Wie damals, dachte sie, wie damals mit ihr, ihr, mit den Augen wie funkelnde Sterne, ihr, die über das ganze Gesicht lachte, wenn ich für sie sang, die aus der reinen Höhle hinter ihrem Mündchen kleine Wonneschreie ausstieß.
Dieser Junge hielt die Augen geschlossen. Sie lagen silbrig zart und wie Muscheln gewölbt in dem länglichen Gesichtchen. Er verzog den Mund, die hohe Stirn furchte sich, und mit einer krampfhaften Bewegung hob er kurz die Ärmchen in die Höhe. Dann fiel der Kopf zur Seite, ein kleiner Strahl Milch rann aus dem Mundwinkel, er stieß auf und schlief ein. Dann kam die Nacht. Elizabeth hatte das Bett frisch beziehen lassen. Spät am Abend kam die Amme, das Kind wurde mit Milch vollgegossen und bis zum Morgen weggelegt. Elizabeth wusch sich und bürstete ihr Haar. Sie legte die Uniform auf einem Stuhl aus, die Schuhe stellte sie darunter, die Strümpfe rollte sie zusammen, das blütenweiße Hemd hängte sie über die Rückenlehne.
James schmunzelte, als er den platten, leblosen Kapitän auf dem Stuhl hängen sah. Er kam auf sie zu, näher und näher kam er, die Dielen knarrten, der Schein der Lampe verschwand hinter seinem Rücken, sein Geruch – frische Luft, Schweiß, Rauch – stieg ihr in die Nase. Noch stand sie frei, unangerührt, als wäre sie nicht da, als würde der Mann mitten durch sie hindurch zum Fenster gehen, um in den dunklen Garten hinauszuspähen. Er legte die Handflächen um ihre Brüste, und sie wurde zu Fleisch.
Zu ihrem eigenen Erstaunen prickelte das Blut unter ihrer Haut, und die glasartige Versteifung, an die sie sich schon so gewöhnt hatte, verflog. Auch das ruhelose Kreisen ihrer Gedanken hörte auf; sie konnte sich an die quälende Denkarbeit erinnern, die Achseln darüber zucken und sie abtun.
Die Lampe ließen sie brennen. Es mußte geschaut werden, die Form von Schultern und Hüften eingeprägt, die Farbe der Haut, der Haare gesehen werden. Augen. Mein Körper wird ihn sich merken, dachte sie, auch wenn ich es nicht mehr weiß, werden meine Muskeln und Knochen wissen, wie er war. Seine Wärme, sein Gewicht, seine gezeichnete Hand auf meiner Haut.
Sie war sich bewußt, was geschah, sie war ganz und gar dabei, doch zugleich machte sie eine Bestandsaufnahme, was ihr in Zukunft fehlen würde. Die merkwürdigsten Dinge eigneten sich dafür. Der Geruch seines Halses. Der jungenhafte, beinah fröhliche Klang seiner Stimme, wenn er entspannt, gedankenlos zu ihr sprach. Die Neigung der Matratze, die sie zu ihm hintrieb. Zum letztenmal? Sie keuchte plötzlich vor Entsetzen.
Am Nachmittag hatte er ihr eine Abschrift des Testaments gegeben. Sie hatte mit distanziertem Befremden darauf geblickt. Eine bescheidene jährliche Zuwendung für seinen Vater, seine Schwestern; kleine Legate für seine Freunde von früher, die sie kaum kannte. Das
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